Ein bisschen mehr Wachpersonal steht an den automatischen Schranken mit den Ticketentwertern. Freundliche Männer in weißen Hemden mit Funkgeräten in der Hand. Aber das ist es dann auch schon. "Machen Sie sich keine Sorgen", sagt einer von ihnen am Istanbuler U-Bahn-Hof Yenikapi, einem der größten Drehkreuze der Millionenstadt: "Es ist alles getan worden, was zu tun ist." Sein Kollege scherzt mit einem kleinen Kind, das die Mutter samt Wagen durch die Schranke bugsiert hat. Und keine Stunde später an diesem Dienstagmittag wird schon ein ganzes Wohnhaus in Kadiköy, auf der asiatischen Seite Istanbuls, wegen eines Bombenalarms evakuiert.

Istanbul durchlebt angstvolle Tage. Seit den Islamistenanschlägen vor zwölf Jahren gab es nicht mehr ein solches Gefühl der Bedrohung. Damals waren im Abstand weniger Tage Lastwagen mit Bomben erst vor zwei Synagogen, dann vor dem britischen Konsulat und dem Hauptsitz der HSBC-Bank in Istanbul explodiert. 57 Menschen starben. Al-Kaida hatte wegen des Irakkriegs britische und israelische Ziele ins Visier genommen.

Hinweise auf Attentate

Jetzt ist es die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), die Vergeltung üben könnte. Seit Freitag vergangener Woche bombardiert die türkische Armee IS-Stellungen in Syrien. Hinweise auf geplante Selbstmordanschläge in Istanbul haben die Behörden bereits erhalten. Neuralgische Punkte, Plätze mit enormen Menschenmengen, vor allem in den kühleren Abendstunden, gibt es genug in der Stadt am Bosporus.

Doch fast scheint es, als ob die türkische Führung ihre spektakuläre Kehrtwende im Verhältnis zur sunnitischen Extremistenarmee IS, den aktiven Eintritt in die von den USA geführte Koalition, in den Hintergrund drängen will. Viel mehr Aufmerksamkeit widmet sie in Reden und Erklärungen für die türkische Öffentlichkeit den anderen zwei Kriegsfronten, die zeitgleich eröffnet wurden: gegen die linke Terrorgruppe DHKP-C, die Unterstützung in manchen Bevölkerungskreisen hat, wie die jüngsten Straßenkämpfe im Istanbuler Stadtteil Gazi zeigten; und vor allem gegen die kurdische Untergrundarmee PKK.

"Fortsetzung unmöglich"

Staatspräsident Tayyip Erdogan zog nun einen Schlussstrich. Bei einer Pressekonferenz vor seinem Abflug zu einem Arbeitsbesuch in China und Indonesien diese Woche kündigte er den Friedensprozess mit der kurdischen Arbeiterpartei auf. Es sei unmöglich, den Weg mit jenen fortzusetzen, welche die nationale Einheit gefährdeten, sagte Erdogan über die PKK.

Dabei war es Erdogan, der 2009 mit der sogenannten demokratischen Öffnung begann, die der kurdischen Minderheit in der Türkei über die Jahre mehr Rechte zusicherte. 2010 ließ er den Geheimdienst Gespräche mit PKK-Vertretern in Oslo führen, die dann 2012 in einen Verhandlungsprozess mündeten. Der stockte immer wieder und hatte lange Zeit weder Rahmen noch Plan. Doch er brachte den inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan noch im Frühjahr 2015 so weit, von seiner Organisation ein Ende des bewaffneten Kampfes zu fordern.

Spirale der Gewalt

Das ist nun vorbei. Die Armee bombardiert täglich Stellungen der PKK in den Bergen im Nordirak, während die PKK in der Türkei Soldaten und Polizisten angreift. Am Dienstag schoss ein Maskierter in der südöstlichen Grenzprovinz Hakkari einen Soldaten vor einer Bank an, während eine Straßenbrücke in der Provinz Diayarbakir in die Luft flog.

Der Krieg gegen die PKK wendet sich jetzt aber auch gegen die mehrheitlich kurdische Linkspartei HDP, die Erdogans Regierung bei den Parlamentswahlen im vergangenen Juni die Mehrheit genommen hatte. Ein Verbot der HDP halte er nicht für richtig, erklärte Erdogan während der Pressekonferenz in Ankara. Er forderte aber das Parlament auf, die Immunität einiger HDP-Politiker aufzuheben. Dieser Schritt würde sich direkt gegen HDP-Chef Selahattin Demirtas richten. (Markus Bernath aus Istanbul, 29.7.2015)