Auf der Suche nach einem Zimmer hat es mich nach Garden City verschlagen, ein ruhiges Wohnviertel mit viel Grün nahe Downtown. Klimaanlage, WLAN und ein Fenster in den Hof, wo in der Früh und am Abend die Vögel zwitschern.

Eines Morgens verstummen die Vögel, als das Wummern und der Nachhall einer fernen Explosion gegen die Scheibe drücken. Irgendwo in Kairo ist irgendetwas in die Luft geflogen. Dann zwitschern die Vögel wieder. Es ist 6.30 Uhr, von fern höre ich das Hupen der Autos auf der Corniche el Nil. Ich schlafe wieder ein.

Altes Holz und faule Zähne

Khan al-Khalili gilt als der größte Basar Afrikas. Seit dem 14. Jahrhundert wechselten hier Gewürze, Stoffe, Edelsteine, Sklaven, Talismane und Bücher über Magie ihre Besitzer, wurde hier gefeilscht, Kaffee getrunken und Shisha geraucht. Mit den Touristenbussen kamen Alabaster-Pyramiden und Plüschkamele hinzu.

Etwas abseits der brodelnden Gassen mit dem Geschiebe und Geschrei, den tausenden Düften und hunderten Sonderangeboten, erhebt sich das Bab Zuweila, ein Stadttor, flankiert von zwei Minaretten. Es wurde im elften Jahrhundert erbaut, als die schiitischen Fatimiden in Kairo regierten. Der Name Zuweila stammt von einem Berberstamm, dessen Krieger im Sold der Fatimiden standen und in der Umgebung des Tores untergebracht waren. Für 20 ägyptische Pfund (EGP), das sind in etwa 2,31 Euro, kann der Torbau besichtigt werden, was sich der Aussicht wegen jedenfalls auszahlt. Das Bab war einst von großer Bedeutung. Nicht nur, weil hier Menschen hingerichtet wurden, sondern auch, weil jedes Jahr die Mekka-Karawane durch das Tor zum Hajj aufbrach.

Eines der Zwillingsminarette beim Bab Zuweila.
Foto: Markus Schauta

Kairo war Sammelpunkt für Pilger aus Ägypten, dem Maghreb, Afrika und Al-Andalus auf ihrem Weg auf die Arabische Halbinsel. Wenn Pilger und Soldaten mit ihren Kamelen und Eseln unter Trompeten- und Trommelklängen loszogen, stand der Sultan auf dem Bab Zuweila, um sie zu verabschieden. Als Symbol seiner Macht und Autorität begleitete das Mahmal die Karawane – eine Art Zelt aus Seide, mit Schriften bestickt, schwankend auf dem Rücken eines besonders großen Kamels.

Die alten Steine halten die Hitze ab, durch schmale Schlitze fällt Licht auf die Wendeltreppe, die bis ganz oben auf die Spitze des Minaretts führt. Von der Steinbrüstung der Blick auf Kairo: grau-braunes Häusermeer, durchstoßen von Kuppeln und Türmen, und dahinter die Mauern der Zitadelle mit den Bleistiftminaretten der Muhammad-Ali-Moschee vor einem weiten, wolkenlosen Blau.

Reste des alten Stadttors.
Foto: Markus Schauta

In einem Raum des Torbaus ist ein Teil des alten Stadttors ausgestellt. Bei der Renovierung der Anlage in den 1990er-Jahren fanden die Restauratoren verblichene Stoffbänder, Fäden und Zähne zwischen den verwitterten Holzplanken und Eisenbeschlägen – Gegenstände, die Menschen dort deponiert hatten, damit der Heilige Mitwalli sie von Krankheiten befreie oder vor Schmerzen bewahre. Ein alter und lange vergangener Glaube an einen heiligen Mann, der irgendwann hinter dem östlichen Torflügel gelebt haben soll.

Hinter den dicken Mauern des Bab liegt die staubige Hitze Kairos. Ich gehe zurück ins Zentrum des Basars, wo der Gestank von verwestem Müll bald von Gewürz- und Shisha-Duft überlagert wird.

Bier über den Dächern Kairos

Der süßliche Geruch von Haschisch in der Luft, Bierflaschen klirren, Ägypter und Expats hocken um einen Holztisch oder lehnen an der Terrassenmauer, 16 Stockwerke über den Straßen Kairos. Schwarzes Antennengestrüpp vor einer gelben Sonne, die im Häusermeer versinkt.

Mohamed spricht laut. Der gewichtige Ägypter mit Vollbart und Brille erklärt mir, was die Leute hier in Kairo mit Österreich verbinden: Arnold Schwarzenegger – und zwar "den Bodybuilder, nicht den Filmstar", sagt er und reißt sich noch ein Bier auf. "In jedem Fitnesscenter wirst du mindestens ein Poster von Arnie finden." Und Fitnesscenter gebe es eine Menge in Kairo, viele von ihnen improvisiert, mit selbstgebastelten Geräten.

Über den Dächern Kairos.
Foto: Markus Schauta

Die meisten Ägypter, die sich hier auf der Dachterrasse versammelt haben, gehören zu Kairos Mittelschicht. Sie haben studiert, planen, ins Ausland zu gehen, arbeiten als Ärzte, Musikproduzenten oder für internationale Unternehmen. Religion spielt für viele von ihnen nur eine untergeordnete Rolle.

Mohammed hat heuer zum ersten Mal offiziell im Ramadan nicht gefastet. "Meine Mutter war schockiert, als ich am ersten Fasttag meinen Morgenkaffee in der Küche getrunken habe." Die Jahre zuvor hatte er während der Fastenzeit heimlich am Klo getrunken und gegessen. Doch dafür sei er nun zu alt. Die Mutter mache ihm Vorwürfe, er sei ein schlechtes Vorbild für seine Brüder. Was auch stimme, so Mohammed, auch sie verzichteten heuer auf das Fasten. – "Aber hey, wacht auf! Dort oben gibt es niemanden, für den ihr euch quälen müsst."

"Ameen" – so sei es

Irgendwann in der Früh warte ich im Stiegenhaus auf den Lift, zehn Minuten später sitze ich in einem Taxi. Der Fahrer um die 30, glattrasiert, im T-Shirt. Ich sage Garden City, und er nickt wortlos, seltsam abwesend. Aus dem Radio tönt eine Stimme, eine monotone Litanei. "Ameen", antwortet der Fahrer auf jeden Satz des Predigers. "Ameen." Ich weiß nicht, ob er das seit einer Stunde oder zehn Stunden so macht. Aber es scheint, als sei er in eine Art Trance verfallen. Und während die Welt hinter dem glasigen Schleier vor seinen Augen verschwimmt, liegt seine ganze Konzentration auf den Sätzen des Predigers.

"Ameen" – so sei es. Ich frage, ob alles okay sei. "Ameen." Die Stimme des Predigers überschlägt sich hysterisch. "Ameen", "Ameen", "Ameen", der Fahrer. Und während er mich durch die Nacht fährt, denke ich über die Gespräche des Abends nach. Dass die Revolution von den alten Männern, der verstaubten Machtelite, gekidnappt wurde. "Ameen." Dass die Zustände in den staatlichen Krankenhäusern katastrophal seien. "Ameen." Dass zu viele gutausgebildete Jugendliche keinen Job finden. "Ameen." Dass Religion zu sehr den Alltag der Menschen bestimme. "Ameen." Der Fahrer atmet schwer, völlig konzentriert auf die Sätze des Predigers, die ihm die Welt erklären. "Ameen", atemlos, "Ameen".

Wir kommen beim italienischen Konsulat vorbei, wo in der Früh die Autobombe hochgegangen ist. Absperrungen und Polizisten vor einer zerfetzten Hauswand. Eine Spirale der Gewalt: die gekidnappte Revolution, die Entmachtung Mohammed Mursis, die hunderten Todesurteile, Krieg auf dem Sinai, Bomben in Kairo. "Ameen", sagt der Fahrer. Dann ist die Predigt zu Ende. (Markus Schauta, 29.7.2015)