Ein Erlenbruchwald mit dichter Krautschicht. Internationale Forscher konnten nachweisen, dass die Artenvielfalt in Wäldern der gemäßigten Zone Europas nicht überall gleichermaßen zurückgeht. In bestimmten Bereichen nimmt sie sogar zu.

Foto: Markus Bernhardt-Römermann/FSU

Jena – Dass die Artenvielfalt in den Wäldern rund um den Globus aufgrund zahlreicher Einflüsse immer weiter zurückgeht, darüber herrscht unter Wissenschaftern und auch in der öffentlichen Wahrnehmung heute weitgehend Einigkeit. Hauptursachen sind der Klimawandel, Umweltverschmutzung und unkontrollierter Holzeinschlag. Tatsächlich aber ist die Situation doch etwas komplizierter: "Zumindest lässt sich ein solcher Trend nicht pauschal auf alle Wälder übertragen", meint Markus Bernhardt-Römermann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Der Ökologe konnte in einer aktuellen Studie nachweisen, dass der Rückgang der Biodiversität nicht in allen Bereichen zu beobachten ist.

Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam aus ganz Europa hat Bernhardt-Römermann die Artenvielfalt in Wäldern der gemäßigten Zone Europas umfassend analysiert und dabei festgestellt, dass sich im Mittel die Pflanzenvielfalt in der Krautschicht in den zurückliegenden Jahrzehnten nicht verändert hat. Dieses zunächst überraschende Ergebnis bedeute allerdings nicht, dass in Sachen Biodiversität alles zum Besten stehe, macht der Ökologe deutlich. Denn: "Auf lokaler Ebene können die Veränderungen durchaus gravierend sein." So gebe es Regionen, in denen die Artenvielfalt in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist, während sie in anderen Regionen zugenommen habe.

Umfassende Wald-Datenbank

Insgesamt 39 Standorte in 13 europäischen Ländern – von der Schweiz und Ungarn im Süden bis nach Schweden im Norden und von Irland im Westen bis Polen im Osten – haben die Forscher untersucht. Die Daten dazu stammen aus dem Forschungsnetzwerk "forestREplot", an deren Aufbau der Jenaer Ökologe gemeinsam mit Wissenschaftern aus Belgien, der Tschechischen Republik und den USA federführend beteiligt ist. In einer Datenbank werden Datensätze gesammelt, die Auskunft über die zeitliche Entwicklung der Pflanzenarten in Wäldern der gemäßigten Klimazone weltweit geben.

"Wenn in ein und demselben Gebiet zu unterschiedlichen Zeitpunkten ein solcher Inventurdatensatz erhoben wird, lassen sich Veränderungen über die Zeit ermitteln", sagt Bernhardt-Römermann. Für die nun vorgelegte Studie haben die Ökologen die Daten für die 39 ausgewählten Laubwälder Europas zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten (im Abstand von 17 bis 75 Jahren) untersucht und diese in Beziehung zu Klimadaten, Angaben zur Bewirtschaftung der Wälder, Stickstoffeintrag und Wilddichte gesetzt.

Klimawandel von geringer Bedeutung

Auf diese Weise konnten die Forscher zeigen, welche Faktoren darüber entscheiden, wie sich die Vielfalt an Pflanzen in einem bestimmten Gebiet verändert. "Wir haben festgestellt, dass Klimaveränderungen insgesamt keine wesentliche Änderung der Diversität hervorrufen", nennt Bernhardt-Römermann das verblüffende Ergebnis. Vielmehr beeinflussen, neben lokalen Faktoren wie den Lichtverhältnissen – die wiederum in Folge menschlicher Nutzung variieren können –, vor allem die Stickstoffverfügbarkeit und die Dichte des lokalen Wildbestandes die Vielfalt in der vorhandenen Krautschicht entscheidend.

So gehen beispielsweise in beinahe allen untersuchten Gebieten die Bestände der Arten deutlich zurück, die nährstoffarme und trockene Wälder bevorzugen, wie Berg-Segge (Carex montana) oder Straußblütige Wucherblume (Tanacetum corymbosum). Auf der anderen Seite gedeihen Winkel-Segge (Carex remota), Karthäuserfarn (Dryopteris carthusiana) und Gewöhnliches Rispengras (Poa trivialis) deutlich besser, die besonders auf feuchteren und nährstoffreichen Böden – mit einem hohen Stickstoffgehalt – florieren.

Als Konsequenz aus ihren Ergebnissen empfehlen die Forscher, künftige Prognosen zur Entwicklung der Artenvielfalt nicht nur auf globale Kriterien, wie Klimaänderungen oder Landnutzungsmodelle, zu stützen, da diese wichtige Details nicht ausreichend berücksichtigen. Vielmehr müssten auch lokale Einflüsse, wie Wildbestand und Stickstoffversorgung, einbezogen werden, um die Qualität der Vorhersagen zu verbessern. (red, 2.8.2015)