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Der Künstler ist "vor allem kein Konformist, sondern wie jeder Mensch und Revolutionär zum Widerspruch und Widerstand geschaffen": Michael Guttenbrunner.

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Angelica Bäumer (Hg.), "Michael Guttenbrunner über Bildende Kunst und Architektur". € 25,60 / 216 Seiten. Ritter-Verlag, Klagenfurt 2014

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Der Dichter, Essayist und Briefautor Michael Guttenbrunner trug das Herz auf der Zunge und pflegte Schluderei in Wort und Bild und Bauwerk verlässlich zu kritisieren. Er galt als Außenseiter und war den Lakaien des Literatur- und Kulturbetriebs stets ein irritierender und unbequemer Geist. Zehn Jahre nach seinem allzu frühen Tod – er fehlt uns, und er fehlt vor allem dort, wo man nicht merkt, dass er fehlt – erschienenen nun "im Auftrag des Robert-Musil-Instituts der Universität Klagenfurt" Texte des Theodor-Kramer-Preisträgers 2004 aus dem Nachlass, herausgegeben und kommentiert von der Autorin und Kunsthistorikerin Angelica Bäumer.

Nichts anderes, so Guttenbrunner, als eine Selbstbestimmung in Freiheit sei Voraussetzung für das künstlerische und geistige Tun. Niemandem verpflichtet zu sein als dem "selbstbestimmten Auftrag" – nur so könne Kunst entstehen, und so sah er auch, das "Geschwätz der Zeit" verachtend, sein Denken und Schreiben.

In seinem Essay Kunst: Selbstbestimmung und Auftrag, in dem er aus den divergierenden, aber auch immer wieder sich kreuzenden Strängen der abendländischen Kunstgeschichte einige maßgebende Gedanken entwickelt, um seine Position zur Kunst unmittelbar vor und nach 1945 zu definieren, heißt es: "Der Künstler ist ein Kind seiner Zeit wie alle anderen, ein Produkt seiner Umwelt wie die anderen auch, und will man ihn verstehen, so muss man seine Zeit und das Land, in dem er lebt, betrachten. (...) Der Künstler ist aber nicht ein bloßer Säugling seiner Zeit, und nicht ihr Schoßkind, und nicht ihr Schmarotzer; er ist vor allem kein Konformist, sondern wie jeder Mensch und Revolutionär zum Widerspruch und Widerstand geschaffen und zur Askese. Er beauftragt sich selbst. Und wenn sein Talent ihn befähigt, die Zeit in Bildern zu begleiten, so ermächtigt ihn sein Genie, eine ganz andere Welt und Zeit als die gegenwärtige anzuschauen und zu gestalten. Er eilt der Zeit voraus, er tritt hinter sie zurück, er vertreibt sie, er vertreibt sie nicht – die immer darauf aus ist, ihn zu vertreiben – die immer da – weiterexistiert."

Jene Künstler, die Guttenbrunner, fasziniert von den Querverbindungen zwischen den Künsten, mit Neugierde sowie leidenschaftlicher Kritik und Empathie begleitete, waren in etwa in seinem Alter, manche um eine Generation älter, wie Arnold Clementschitsch, oder um eine halbe Generation jünger, wie der Architekt Fritz Kurrent.

Guttenbrunner hat als Jüngling in Wien die Höhere Graphische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt besucht – wie lange, geht aus den Biografien nicht exakt hervor -, daher ist anzunehmen, dass er selber über ein gewisses zeichnerisches Talent verfügt haben dürfte. Ein großes Interesse war jedenfalls gegeben, und er hat auch schon in den späten 1940er-Jahren über Ausstellungen in Klagenfurt und Graz geschrieben.

Es gibt nur wenige Dichter seiner Generation, die, nicht zuletzt aufgrund der Lektüre der Schriften Karl Kraus', Adolf Loos', Thomas Carlyles und John Ruskins, sich so fundiert mit bildender Kunst auseinandergesetzt haben. Zudem stand er mit dem Kunsthistoriker Klaus Demus und dem Morphologen, Herausgeber der Zeitschrift Kontur und Lehrbeauftragten an der Kunstuni Linz und an der Akademie in Wien, Heimo Kuchling, in Gedankenaustausch.

Guttenbrunners Zugang zur bildenden Kunst war einerseits von seinen autodidaktischen Studien grundiert, andererseits berührten ihn Kunst- und Bauwerke unmittelbar – kraft ihrer ästhetischen wie geistigen Qualität. Kurzum, er konnte sich für sie begeistern, vorausgesetzt, er sah in den Ergebnissen, dass der Schöpfer, weiblich oder männlich, ernsthafte formale Absichten verfolgte; ihn interessierte weder "dekoratives Hundertwasser" noch die lauen Ergebnisse einer "dreihundertjährigen manieristischen Entwicklung".

Kein Blendwerk

Sein kritisch-analytischer Geist vertrug kein Blendwerk, und dass er scharfsinnig argumentieren konnte, wissen die Leser seiner Prosa: Speziell sei hier auf seine Essays zum Werk des Malers Herbert Böckl verwiesen. Guttenbrunner verstand es, seinen Freund immer wieder zu ermutigen, denn Böckl hatte Ängste und Skrupel und zweifelte immer wieder an seinem Werk und an seinem Leben. Nicht zuletzt hatte er neun Kinder zu ernähren, möglicherweise ein Grund dafür, warum er 1941 der NSDAP beitrat (ohne jedoch die formale Ausrichtung seines künstlerischen Schaffens zu ändern). Diesen Schwächeanfall hat ihm der ansonsten sehr gestrenge Guttenbrunner offensichtlich verziehen.

Nicht minder treu begleitete er das lyrische wie malerische Werk seines labilen Freundes Arnold Clementschitsch, der, wie er sich ausdrückte, in seiner sinnlichen Malerei direkt "vom Auge zur Hand" gearbeitet hat und den er in der Gedenkrede vornehmlich als Sänger apostrophierte, als einen Rhapsoden auf dem Gebiet der Malerei und der Lyrik (ob Guttenbrunner wusste, dass sein Freund anlässlich des Besuchs von Adolf Hitler im Mai 1938 in Klagenfurt ein Hitler-Porträt malte, entzieht sich meiner Kenntnis und wird im Buch auch nicht thematisiert).

Guttenbrunner zog – das geht klar aus seinen Briefen, Polemiken, Reden, Essays, Würdigungen und Grabreden hervor – klare Grenzen gegen jene Kunst, die nach der klassischen Moderne mit angestrengtem theoretischem Unterfutter auf den Markt kam. Jenen, "die Kunst nur die Erlaubnis und Gelegenheit" ist, "ungestraft und mit Beifall öffentlich zu rülpsen, zu furzen, zu kacken, zu brunzen", erteilte er eine klare Absage und er vergaß auch nicht jene mit Hohn und Spott zu überziehen, die sich als Kunsthistoriker, Journalisten, Galeristen und Museumsdirektoren dieses "Requisitenpathos", "Humbugs", "Sumpfwassers", "Kehrichts" etc. angenommen haben.

Die Qualität des gediegen gestalteten Buches liegt auch in der Orchestrierung der Texte und in den kenntnisreichen Überleitungen der Herausgeberin. Reproduktionen von Bildwerken sowie Ablichtungen von Bauwerken und Plastiken begleiten die unbestechlichen Beobachtungen und das Argument.

Durch die kommentierten Beziehungen des Dichters zu den Künstlern (Leidenschaften, die oft nur kurz aufflammten) entsteht eine – wenn auch zeitlich und stilistisch begrenzte – Marginalie zur Kunstgeschichte en miniature. Nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern auch, um zu zeigen, in welch breit gefächertem Beziehungsgeflecht Guttenbrunner mit Architekten, Künstlerinnen und Künstlern in Beziehung stand, hier ihre Namen, entsprechend der Reihenfolge, wie sie von der Herausgeberin im Buch vorgestellt werden: Friedrich Kurrent, Johannes Avramidis, Wander Bertoni, Fritz Wotruba, Franz Xaver Ölzant, Arnulf Rainer, Maria Lassnig, Elisabeth von Guttenberg-Sterneck, Eduard Bäumer, Herbert Böckl und Arnold Clementschitsch. Leider fehlen die Briefe an Werner Berg oder einige gewichtige andere, für deren Veröffentlichung die Herausgeberin nicht die Rechte erhalten hat.

Der ausführliche Anhang beinhaltet ein Verzeichnis jener Personen, auf die sich Guttenbrunner in seinen Schriften sonst noch bezieht, Anmerkungen der Herausgeberin sowie eine Biblio- und Biografie; in Letzterer wird fälschlich angeführt, Guttenbrunner habe den Theodor-Kramer-Preis für Schreiben im Widerstand und Exil erst posthum erhalten. (Richard Wall, Album)