Im Khyal-Stil wird der Luxus des Sich-Zeit-Lassens, des Hineingeratens in den inspirierten Zustand ausgekostet.

Foto: Salzburger Festspiele / Franz Neumayr

Salzburg – Schwer zu sagen, welchen Anteil der von Salzburg geschiedene Ex-Intendant Alexander Pereira am diesjährigen Programm der Festspiele hat. Sicher ist, dass der Lenker der Mailänder Scala dieser Tage am Ort seiner früheren Programmtaten zugegen war – und dies nicht vornehmlich, um für Mailand nach Sponsoren zu fischen. Pereira wurde der Pro-Arte-Europapreis übergeben. Das Herbert-Batliner-Europainstitut vergab ihn in Pereiras Fall für geschaffene Voraussetzungen bezüglich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von Künstlern.

Der von Pereira seinerzeit eingefädelte Verkauf mancher Salzburger Opernproduktionen an die Scala wird damit natürlich nicht gemeint gewesen sein. Eher wurde an die nach wie vor existente "Ouverture spirituelle"; selbst Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler hob bei der Preisverleihung die Bedeutung dieses Pereira-Idee hervor. Bezogen auf die stilistische Grundausrichtung des Festivals bietet die "Ouverture" durch Integration außereuropäischer Sakralmusik tatsächlich auch Einblicke in das ganz Andere – in diesem Jahr in die auch der Improvisation huldigende hinduistische Kunstmusik.

Singende Dirigentin

Den Khyal-Stil etwa: Das Wort bedeutet "Fantasie", bezeichnet die klassische Vokalmusik des indischen Nordens. Nebst Tabla (Trommeln) ist es das Streichinstrument Sarangi, das in der Kollegienkirche den Gesang von Shruti Sadolikar in einer Art freien Kanonbewegung verdoppelt, um mitunter auch selbst Freiräume der Improvisation solistisch zu nutzen.

Das Beeindruckende: Hier wird der Luxus des Sich-Zeit-Lassens, des Hineingeratens in den inspirierten Zustand ausgekostet. Erst selbiger katapultiert das spontane Schaffen in Regionen des Intensiven: Sadolikars Stimme kreist da gelassen um ein Motiv, das von Wiederholung zu Wiederholung festlicher variiert wird. Opulentere Melismen und das Aufsuchen höherer Plateaus (von Tonlagen) sind probate Mittel.

Richtung Ekstase

Die Vokalistin ist dabei auch eine Art freundlich mit der linken Hand und im Lotossitz dirigierende Dramaturgin, die ihre Kollegen zu Emphase ermuntert. Sie tat es gerne auch ermahnend, wie es schien, wenn ein Kollege nicht energisch genug in Richtung Ekstase unterwegs war.

Solch Ermunterung war im großen Festspielhaus nicht nötig: Dirigent Yannick Nézet-Séguin hatte nach Bohuslav Martinůs "Les Fresques de Piero della Francesca" (einem Modernismen und Romantizismen mixenden Stück) mit Anton Bruckners Messe Nr. 3 f-Moll recht Gewaltiges vornehmlich unter Kontrolle zu halten. Das anfängliche "Moderato" erweckte über die wehmütig fallenden Motive noch delikate Intimität. Mit Fortdauer des widerborstigen, kontrastreichen Werkes mündete die Interpretation jedoch oft in allzu überbordend wirkenden Klangmassen.

Dorothea Röschmann, Karen Cargill, Christian Elsner und Franz-Josef Selig meistern ihre oft kurzen Momente jedenfalls respektabel; ausgezeichnet der Chor des Bayerischen Rundfunks und engagiert die Wiener Philharmoniker. Auf dem Gesicht des energischen Maestros breitete sich nach Messe-Ende jedenfalls erleichterte Dankbarkeit aus. (Ljubiša Tošić, 27.7.2015)