Anfang und Ende der literarischen Laufbahn von Theodor Haecker waren vom Krieg überschattet: Kaum hatte er 1913 die literarische Szene betreten, da brach ein neues Heldenzeitalter an: Alles stand Gewehr bei Fuß, besonders stramm im Hinterland.

Mit Hassgesängen gegen England und andere "Feindmächte" war nun viel Geld zu verdienen; Ästheten berauschten sich an der Wahnvorstellung vom Krieg als Jung- und Gesundbrunnen, als reinigendem Stahlgewitter.

Haecker, damals noch weithin unbekannt, meldete seinen Widerspruch an, glossierte, sichtlich inspiriert von Karl Kraus, im Innsbrucker Brenner, seiner publizistischen Heimstatt, mit bissigem Witz die "geistigen Führer der Nation", entlarvte ihre Sprache als Geschwätz, ihren eifrig zur Schau gestellten Patriotismus als blanke Geschäftstüchtigkeit.

Ein Nachwort

In seinem Nachwort zu Kierkegaards Schrift Der Begriff des Auserwählten, die Haecker 1917 erstmals ins Deutsche übertrug, wandte er sich gegen die Verquickung von Christentum und Staatsdoktrin, von moderner Kriegsführung und Kreuzzugsrhetorik.

Für den Völkermord im Zeichen des Kreuzes fand er hier deutliche Worte: "Wer immer behauptet, dass Menschen, die das Evangelium wirklich leben, den Krieg mitmachen oder ihn frisch und fröhlich nennen können, der ist der gotteslästerlichste und infamste Lügner, der die Sonne beleidigt, wer immer er auch sein mag."

Was als Nachbemerkung zu Kierkegaard konzipiert war, entwickelte schließlich ein Eigenleben, hatte Umfang und Gewicht genug, um, aus seinem ursprünglichen Zusammenhang gelöst, für sich zu stehen: Das schmale Büchlein erschien zu Kriegsende unter dem nunmehr doppeldeutigen Titel Ein Nachwort und machte Haecker in breiten Kreisen bekannt.

Kurt Hiller, radikaler Pazifist aus dem Umfeld der Berliner Expressionisten, zeigte sich hellauf begeistert: "Das gasgranatenfabrizierende Staatschristentum macht den Christen aus Innerlichkeit, aus Erlebnis, den neuen Ur-Christen, der Haecker ist, und den Aktivisten zu Verbündeten. Diese Schrift wird lange leben. Man möchte daraus viel zitieren, Seiten über Seiten ..."

Letzte Fragen

Zum Bedauern Hillers und zur Erleichterung manch anderer Zeitgenossen beendete Haecker jedoch bald darauf seine Tätigkeit als Pamphletist, die ihm viel Feind und viel Ehr eingebracht hatte, er sagte der Satire Adieu, konvertierte zum Katholizismus und befasste sich fortan vornehmlich mit letzten Fragen.

In weiterer Folge entwickelte sich der Sohn einer protestantischen Kaufmannsfamilie aus dem Schwäbischen zu einem Pionier der katholischen Laientheologie, ohne dabei auf akademische Würden angewiesen zu sein, und festigte mit seinen Essays, Traktaten und platonischen Dialogen den Ruf eines Satzbaumeisters von hohen Graden und höchsten Ansprüchen. Sein Brot indessen verdiente Haecker als Mitarbeiter des auf Bilderbücher und Witzblätter spezialisierten Münchner Verlages J. F. Schreiber.

Diesem Verlag, der ihn großzügig unterstützte, gehörten seine Tage; seine Nächte hingegen gehörten Vergil (dem er einen vielbeachteten Essay widmete) und John Henry Newman (dessen Schriften er ins Deutsche übersetzte). Auch hierin folgte er dem Vorbild Karl Kraus: Nachts, wenn die Dummheit schlief, machte er sich an die Arbeit – an seine Arbeit.

"Die wievielte Schreibnacht ist es heute? Ich weiß es nicht. Ich habe sie nicht gezählt. Sie waren das Glück meines Lebens", notiert Haecker am 20. August 1940 in seinen Tag- und Nachtbüchern. Entstanden in seiner letzten Lebensphase, wiederum im Schatten eines großen Krieges, sind sie Haeckers literarisches Vermächtnis: ein Laboratorium seines Denkens, eine gewaltige Sprachhalde, auf der sich glänzende Aphorismen ebenso finden wie imaginäre Gespräche und philosophische Entwürfe, Selbstreflexionen und Reaktionen auf Nachrichten vom Tag: Zeugnis des geistigen Widerstands eines mit Rede- und Schreibverbot belegten Autors.

Tag- und Nachtbücher

Hatte Haecker im Ersten Weltkrieg das Staatschristentum der Feldkuraten und ihrer Brüder im Geiste attackiert, so wendete er sich nun gegen die "deutsche Herrgottsreligion": "Die drei Prinzipien der deutschen Herrgottsreligion sind also: Ehre, Blut und Boden. 'Fanatische Pflichterfüllung' das Ideal, das fürchterlichste und abscheulichste, das die Menschheit je gesehen hat."

Aus Haeckers Tag- und Nachtbüchern spricht nicht etwa späte Einsicht; er hatte den Nationalsozialismus und dessen Rassenideologie von allem Anfang an durchschaut und abgelehnt. Den beginnenden Zusammenbruch des Regimes durfte er noch registrieren und protokollieren, seine endgültige Überwindung mitzuerleben war ihm nicht mehr vergönnt: Seit langen Jahren zuckerkrank, erlag er am 9. April 1945, im Alter von 66 Jahren, einem diabetischen Koma. "Man darf annehmen, dass die Deutschen, bewusst oder unbewusst, alles tun werden, um ungefähr alles, was heute gesprochen, geschrieben und getan wird, so rasch wie möglich zu vergessen", notierte er bereits im Dezember 1939, illusionslos und klarsichtig wie eh und je. (Christian Teissl, Album)