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Ruth Bader Ginsburg und Antonin Scalia: Am Supreme Court, dem Obersten Gerichtshof der USA, sind die beiden sachliche Gegner, privat sind sie befreundet –

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- und seit Juli dieses Jahres zwei Hauptfiguren einer ganzen Oper.

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Ruth Bader Ginsburg (82), von ihren Verehrern nur RBG genannt, führt mit feinem Humor durch ein Arienrepertoire, das sie selbst zusammengestellt hat. "Das Recht in der Oper" heißt die Serie. So sehr das nach Nische klingen mag, die Zeltarena ist restlos ausverkauft. Draußen grasen Schafe auf sanftwelligen Wiesen, über die Hügel hat man Heuballen verteilt. Castleton, ein Anwesen im ländlichen Virginia, ist im Sommer Schauplatz eines jungen Musikfestivals, das zudem am Abend des 11. Juli eine besondere Premiere im Programm hatte. Diesmal sitzt Ginsburg auf den Zuschauerrängen und wird mit stehenden Ovationen gefeiert. Eine Richterin, die zugleich Kultfigur ist.

An den Supreme Court wurde RBG 1993 von Bill Clinton berufen, eine ganze Generation kennt den Gerichtshof mit dieser grazilen, scharfsinnig-witzigen Juristin in seiner Mitte. Vor Monaten sorgte sie für Gesprächsstoff, als Barack Obama zur Lage der Nation sprach und sie in vorderster Reihe ein Nickerchen hielt. Der Rotwein beim Dinner sei vorzüglich gewesen, vielleicht habe sie ihm ein wenig zu sehr zugesprochen, bat sie hinterher augenzwinkernd um Nachsicht. Die New Yorkerin, eine Kämpferin für die Gleichstellung der Frauen, hat eine ausgesprochen aktive Fangemeinde um sich geschart. Sogar ein Blog ist ihr gewidmet: "Die notorische RBG". Und nun handelt eine komplette Oper von ihr und ihrem härtesten Widersacher, einem Konservativen namens Antonin Scalia.

Genügend Stoff für eine Oper

So weit hergeholt ist das nicht. Das Oberste Gericht in Washington, ein Marmorpalast mit korinthischen Säulen, ist tatsächlich eine der großen Bühnen des Landes. Während sich Demokraten und Republikaner im Kongress oft in kleinkarierten Scharmützeln aufreiben, werden hier die großen Fragen verhandelt. Kontrovers in der Sache, aber im Ton so zivilisiert, wie man es aus dem Parlament nicht mehr kennt. Ja oder Nein zur Ehe von Schwulen und Lesben? Wie weit geht das Recht auf privaten Waffenbesitz? Der Supreme Court hat 1973 die Abtreibung erlaubt, 1954 hat er die Weichen zum Ende südstaatlicher Rassentrennung gestellt, lange bevor das Parlament mit Gesetzen nachzog.

Neun auf Lebenszeit ernannte Richter, angetan mit schwarzen Roben, geben einander feierlich die Hände, bevor sie ihre Sitzungen beginnen. Dabei symbolisieren die einen das progressive, die anderen das konservative Amerika, je nachdem, ob der Präsident, der sie ernannte, ein Demokrat war oder ein Republikaner. Scalia steht ziemlich weit rechts, Ginsburg ziemlich weit links. Mehr noch, Scalia verkörpert die Republik der Gründerväter um George Washington und Thomas Jefferson, wie sie von der Tea Party zum Ideal verklärt wird, aber längst nicht mehr existiert. Der Staat superschlank, organisiert von Rebellen, die gerade die Unabhängigkeit von der britischen Krone erkämpften und sich in ihrem Freiheitsdrang von keinem Amtsschimmel etwas vorschreiben lassen. Eine Pflicht zur Krankenversicherung? Kommt in der Verfassung von 1787 nicht vor.

Als der junge Komponist Derrick Wang Fall für Fall nachlas, wie Scalia seine Positionen begründete, dachte er sich: perfekter Stoff für eine Oper. Allein die blumige Rhetorik. Aufgewachsen in Baltimore, studierte der Sohn von Einwanderern aus Burma erst Musikwissenschaften und später Jura. Scalia verfügt über eine kräftig melodische Stimme, die einen Saal mühelos ausfüllen kann. Wang dachte sich die Musik dazu, in seinen Ohren klang es wie eine Zornesarie. Dagegen Ginsburg mit ihrer sanften Lyrik. Der Fundamentalist und die Reformerin. Das ideale Bühnenpaar!

"Sie sind alle blind", zetert der Tenor, der den Richter gibt, und hadert mit einem Kollegenurteil, weil sie einmal mehr neue Rechte erfinden, diesmal für Frauen. "In der Verfassung", zürnt er, "steht davon aaaa-a-a-a-absolut. Nichts. Drin." "Verehrter Richter Scalia", erwidert die Sopranistin in der Rolle Ginsburgs, "das Schöne an unserer Verfassung ist, dass sie sich entwickelt, so wie auch die Gesellschaft sich entwickelt." Die Architekten der Republik, entgegnet sie, hätten doch unmöglich abschätzen können, wie das Amerika des 21. Jahrhunderts aussehen würde. Ergo müsse man ihre Worte großzügig, vernünftig, im Kontext interpretieren. Wo käme man denn hin, wenn Worte keine Bedeutung mehr hätten, kontert Scalia, wenn jeder in die kostbaren Zeilen der Gründerväter hineinlesen könne, was immer er wolle.

Begonnen hatte die komische Oper damit, dass eine zum Leben erwachte Statue Scalia "in den Schlund der Hölle" verbannen wollte, wegen exzessiven Widerspruchs, sofern er sich nicht plausibel rechtfertigen könne. Der himmlische Despot versiegelt die Gerichtstüren und verkündet, dass kein Mann den Saal mehr betreten dürfe. Ginsburg verschafft sich Zutritt, mit der listigen Bemerkung, dass von Frauen keine Rede war. Sie habe Erfahrung im Durchstoßen von Decken, sprich im Aufsprengen von Männerbastionen. Dann nimmt sie den Kollegen, mit dem sie so oft über Kreuz liegt, unbeugsam in Schutz. Drei Prüfungen sollen die beiden gemeinsam bestehen, das gelingt bravourös. "Dann verbanne mich von diesem Gericht!", verkündet Ginsburg in der Pose der Märtyrerin, als sie hört, welches Schicksal Scalia blüht. "Wir sind verschieden, doch wir sind eins." Privat sind die beiden tatsächlich befreundet. Er sagt, dass es nichts gibt, was er an ihr nicht mag, abgesehen von ihren Rechtsansichten. Sie nennt ihn Nino, das Kind. (Frank Herrmann aus Castleton, 26.7.2015)