Bild nicht mehr verfügbar.

Zumindest in diesem Protestzug in Frankfurt gegen die deutsche Europapolitik hat Finanzminister Schäuble nur wenige Freunde.

Foto: Reuters/Pfaffenbach

Wien – "Die Gespräche Griechenlands mit seinen Geldgebern über eine Schuldenumstrukturierung kommen voran." Schon der Titel der Meldung von Reuters klang spektakulär. Die Nachrichtenagentur berichtete zur Wochenmitte unter Berufung auf eine "hochrangige" Quelle im US-Finanzministerium davon, dass die Regierung in Athen mit ihren Gläubigern bereits über das Ausmaß eines Schuldenerlasses für Griechenland verhandle.

Sollte die Meldung korrekt sein, wäre dies in der Tat eine neue Wendung. Bisher hat Premier Alexis Tsipras offiziell nur die Erklärung vom jüngsten Eurokrisengipfel in Brüssel in der Hand. Darin sagten die übrigen 18 Eurostaaten den Griechen zu, "mögliche zusätzliche Maßnahmen zu erwägen", die sicherstellen sollen, dass die Schulden des Mittelmeerlandes tragfähig bleiben. Damit hatte Tsipras nicht mehr als ein schwammiges Versprechen der übrigen Staaten erhalten.

Sollten die Gespräche über einen Haircut tatsächlich konkreter werden, wird das die Debatten unter Juristen und Ökonomen befeuern. Selbst unter Wirtschaftswissenschaftern ist umstritten, ob Athen überhaupt einen Schuldenschnitt braucht. Das klingt zwar verblüffend: Die hellenischen Staatsschulden stehen bei fast 180 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nur in einem Industrieland, Japan, ist dieser Wert höher.

Doch Berechnungen des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel zeigen, dass die laufenden Zinszahlungen Griechenlands moderat sind. Wenn Griechenland viel für Zinsen ausgibt, fehlt Geld für Straßen und Schulen. Im internationalen Vergleich sind die Kreditkosten aber dank der Hilfen der Euroländer niedrig: Spanier, Italiener, Portugiesen zahlen deutlich mehr. Deshalb sagen einige renommierte Ökonomen wie der Belgier Paul De Grauwe, Hellas brauche gar keinen Haircut.

Furcht vor der Drachme

Das Gegenargument lautet, dass, selbst wenn dies mathematisch richtig sein mag, der psychologische Aspekt hinzukommt. Solange Griechenlands Verschuldung auf dem Papier hoch bleibt, wird das Damoklesschwert eines Grexit immer über dem Land schweben. Und wenn Investoren fürchten müssen, dass wieder die Drachme eingeführt wird, werden sie einen Teufel tun und in griechische Hotels und Betriebe investieren.

Die Fachliteratur scheint diese zweite Denkschule zu stützen. Eine Studie dazu stammt vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Jahr 2012. Die Fonds-Experten haben sich 44 Umschuldungen seit 1950 angesehen, darunter in der Ukraine und in Argentinien. Laut IWF senkt ein Haircut nicht nur die Verbindlichkeiten, er bringt auch mehr Wohlstand. In den drei Jahren vor einem Haircut liegt das Wachstum im Schnitt bei 1,5 Prozent. In den drei Jahren danach bei vier Prozent.

Die griechischen Gläubiger dürften solche Zahlen wenig beeindrucken. Denn besonders im deutschen Finanzministerium von Wolfgang Schäuble herrscht offiziell weiter die Ansicht vor, Artikel 125 des EU-Vertrages schließe einen Haircut kategorisch aus. In Artikel 125 wird festgehalten, dass kein EU-Land für die Schulden eines anderen haftet.

Grexit auf Zeit

Schäuble hat den Griechen beim EU-Gipfel vor zwei Wochen deshalb empfohlen, vorübergehend aus dem Euro auszutreten. Nach einem Grexit könnte das Land seine Verbindlichkeiten restrukturieren, hieß es in einem Papier aus Berlin.

Dieser Vorschlag sorgte für Fragezeichen bei Experten. Artikel 125 gilt für alle EU-Länder, und von einem EU-Austritt der Griechen war nicht die Rede. Warum sollte eine Umschuldung außerhalb des Euro eher erlaubt sein?

Das Berliner Ministerium will sich dazu gar nicht äußern. Doch die Sichtweise Schäubles lässt sich juristisch durchaus belegen: In Artikel 143 und 144 des EU-Vertrages gibt es Regelungen, wonach EU-Ländern in Zahlungsbilanzkrisen finanzieller Beistand durch andere EU-Staaten geleistet werden darf. Diese Regel gilt nicht für Euroländer. Im Umkehrschluss kommen deutsche Juristen zur Erkenntnis, dass ein strenges Beistandsverbot gilt – aber eben nur im Währungsraum.

Freilich gibt es auch Zweifel an dieser Auslegung. Carsten Gerner-Beuerle, Jurist an der London School of Economics, hat vor kurzem eine vielbeachtete Stellungnahme zu Artikel 125 veröffentlicht. Demnach dient die Bestimmung nur dazu, Euroländer zur Finanzdisziplin anzuhalten. Ein Haircut, an den weitere Bedingungen geknüpft sind, die sicherstellen, dass Athen sich nicht erneut übermäßig verschuldet, wäre demnach legal. (András Szigetvari, 24.7.2015)