Wien/Innsbruck – Sexuelle Fortpflanzung ist zumindest auf den ersten Blick "kostspieliger" als ungeschlechtliche Vermehrung. Es beginnt schon mit der Ontogenese – eine solche Spezies muss schließlich eigens ein Gegenstück zur (weiblichen) Default-Einstellung produzieren – und geht weiter über komplizierte Zellmechanismen wie die Rekombinationsteilung bis hin zu energieaufwendigem Verhalten, von der Partnersuche bis zu Konkurrenzkampf.

In der Praxis ist der Preis dafür aber oft viel geringer als angenommen, resümiert Claus-Peter Stelzer von der Universität Innsbruck im Fachmagazin "PNAS". Es habe sich bei den Biologen mittlerweile zum Dogma gemausert, dass der Preis für Sex beträchtlich ist, diese Annahme beruhe aber großteils auf simplen Modellberechnungen, so Stelzer, der am Forschungsinstitut für Limnologie der Uni Innsbruck forscht.

Rädertierchen untersucht

Stelzer forscht selbst an Rädertierchen der Gattung Brachionus, bei denen er vor kurzem zeigen konnte, dass sich Sex zumindest langfristig auszahlt. "Im Großen und Ganzen bestehen bei ihnen die Kosten für die geschlechtliche Fortpflanzung aus dem Aufwand für die Männchen und für ein Ruhestadium in der Eier-Produktion", erklärt er. Die winzigen Rädertierchen, die ihre sexuellen Fähigkeiten verloren haben und sich nur mehr mittels Jungfernzeugung fortpflanzen, setzen sich zwar bei günstigen Bedingungen kurzfristig durch, weil sie schneller wachsen, können aber kein Dauerstadium mehr bilden und gehen bei widrigen Umständen zu Grunde.

Die Kosten und Nutzen der geschlechtlichen Fortpflanzung sind aber in den meisten anderen Fällen schwer abzuschätzen und noch schwieriger durch Beobachtung oder Experimente nachzuweisen, meint der Süßwasserforscher. "Man ist dabei immer auf bestimmte Modellorganismen angewiesen, bei denen die unterschiedlichen sexuellen Kosten verschieden stark ausgeprägt sind", sagte er. Außerdem gäbe es Vor- und Nachteile, die alle sexuell aktiven Lebewesen betreffen, aber auch Kosten, die nur in bestimmten Fällen zu zahlen sind.

Kosten der Fortpflanzung

Bei der sexuellen Fortpflanzung müssen zum Beispiel immer Männchen produziert werden, die theoretisch nichts anderes zu tun haben, als zum richtigen Zeitpunkt genetische Information beizusteuern. Die Kosten kommen aber nur voll zum Tragen, wenn sich beide Geschlechter an exakt den gleichen Ressourcen bedienen, so Stelzer. Außerdem könnten die männlichen Geschöpfe ihre Unkosten gering halten oder sogar wieder einspielen, wenn sie sich um den Nachwuchs kümmern und andere Unterstützungen beisteuern.

Auch das Werben und die Paarung benötigen mitunter viele Ressourcen und bergen Gefahren. Zum Beispiel prächtige Blüten, ein üppiger Federschweif und Balztänze kosten den Lebewesen Energie, Zeit und können sie in Gefahr bringen, wenn sie damit Fressfeinde anlocken, außerdem steigt das Risiko für Krankheitsübertragungen. "Diese Paarungskosten sind aber als Preis für Sex nur relevant, wenn sie die Weibchen betreffen", schrieb Stelzer. Bei den Männchen seien diese Investitionen und Risiken schlichtweg egal, außer sie schränken ihre Möglichkeiten ein, Weibchen zu befruchten.

Die Meiose (Reduktions- und Rekombinationsteilung), bei der das Erbgut durchgemischt wird, koste ebenfalls viel Zeit und Energie, das sei aber nur bei sehr einfachen Lebewesen mit kurzer Entwicklungszeit von Belang, meint Stelzer. Sie sorgt andererseits dafür, dass Erbgut-Fehler nicht angesammelt werden, Parasiten und Krankheitserreger kein leichtes Spiel haben und die geschlechtsverkehrenden Pflanzen, Tiere und Pilze sich an ein weiteres Spektrum an Umweltbedingungen anpassen können als die Sexmuffel. "Außerdem ist die Rekombination in manchen Fällen vorteilhaft, wenn sie ungünstig liegende Genkombinationen aufbricht", erklärte er.

Sex, wozu?

Bei vielen Linien habe Sex sehr spezielle Vor- und Nachteile. Etwa bei den erwähnten Rädertierchen kostet das Ruhestadium zwar Zeit und Energie, aber wenn die Bedingungen schlecht sind, verhindert es das Aussterben der Population.

Es gibt letztendlich etliche Beispiele und sehr viele "allgemein gehaltene Erklärungen", wieso die sexuelle Fortpflanzung ihre Kosten aufwiegt, so Stelzer. "Bei ganz vielen Organismen kann man beobachten, dass sie Sex haben, während Asexualität fast nirgends präsent ist", meint er, deswegen müsse er einen allgemeinen Vorteil haben. In dem Bereich würde aktuell viel geforscht, doch die Antwort, was der entscheidende Nutzen von Sex sei, kenne man de facto noch nicht. (APA, 26. 7. 2015)