STANDARD: Herr Pichowetz, Sie haben in Ihrem Garten rund 500 Meter Modelleisenbahnschienen verlegt. Die größte Herausforderung für Sie als Bahnverantwortlicher?

Pichowetz: Das war sicherlich der Bau. Wir haben über 18 Kubikmeter Erde bewegt, einen Meter Trasse betoniert, damit das frostsicher ist. Auch bei bester Planung kommt man da im Nachhinein drauf, dass man etwas falsch gemacht hat. Aber ich habe einen Vorteil im Gegensatz zum Herrn Bundesminister: Mich fragen die Leute immer: "Wie machst das im Winter?" – Da fahr' ich ganz einfach nicht. Das ist gerade dann, wenn die Bundesbahn am meisten frequentiert ist.

Stöger: Die wichtigste Verantwortlichkeit bei mir ist, Schiene, Straße und Luft miteinander zu verbinden. Ich möchte investieren. Es geht – und das sage ich jetzt zu Eisenbahnfreaks wie Ihnen, Herr Pichowetz, denn Eisenbahnfreaks denken immer in der Kategorie der Eisenbahn – um Mobilität. Die Menschen erleben ihre Freiheit dadurch, dass man ihnen die Chance gibt, mobil zu sein.

derstandard.at/von usslar


STANDARD: Wie erleben Sie das als Nutzer? Schon einmal geärgert?

Pichowetz: Bedingt durch meine Rolle als "5er" benutze ich seit dem Jahr 1993 keine Verkehrsmittel mehr öffentlich.

Stöger: Als ich Lehrling war, hat mich am meisten geärgert, dass nach dem Aussteigen am Bahnsteig kein öffentliches Verkehrsmittel weitergefahren ist. Da musste ich 20 Minuten zu Fuß gehen. Jeder hatte für eine Strecke ein Monopol, und die haben nicht kooperiert. Wenn ich heute zum Bahnhof gehe, will ich sofort weiterkommen. Ich will die Fahrtzeiten nicht kompliziert irgendwo nachlesen und Kursbuchsysteme auswendig lernen, sondern ich will hingehen, einsteigen und wegfahren. Und dort, wo ich ankomme, will ich auch weiterkommen. Alles, was ich derzeit erlebe, funktioniert sehr, sehr gut. Insbesondere in Wien mit der U-Bahn ...

Pichowetz: ... wenn Sie nicht weiterkommen müssen! Mit der U6 ist man schnell in Floridsdorf. Aber von da Richtung Strebersdorf oder Stammersdorf weiterzufahren – da brauchen Sie Zeit, Geduld und a Jausn.

Stöger: Ist ja eh die Jausngegend.

Pichowetz: Ja, eh, aber da brauchen S' ja die Jausn, bis S' dort san!

"Bim"-Fahrt mit dem "5er": Für den STANDARD macht Schauspieler Gerald Pichowetz eine Ausnahme und steigt mit Verkehrsminister Alois Stöger (SPÖ) in die Straßenbahn.
Foto: Standard/Regine Hendrich

STANDARD: Wann soll der neue Austrotakt kommen?

Stöger: Wir wollen jetzt die Möglichkeiten des Taktfahrplans gesetzlich sicherstellen. Dann soll der Takt Schritt für Schritt ausgebaut werden. Und es geht natürlich um Taktverdichtung.

Pichowetz: Jetzt frage ich dumm, weil ich mich gar nicht auskenne: Das haben wir ja schon gehabt? Warum muss man den erneuern?

Stöger: Na ja, da hat es ein paar Veränderungen gegeben in der Politik, und zerstört ist etwas sehr schnell. Es war ein schwerer Fehler, dass man den Taktfahrplan unter blau-orangen Ministern nicht weiterverfolgt hat.

STANDARD: Das Konzept war anscheinend auch nicht auf allen Strecken rentabel.

Stöger: Wo Schieneninfrastruktur gelegt wird, entstehen auch Arbeitsplätze. Das verändert die wirtschaftlichen Chancen vor Ort. Wenn ich das dann auf ein Einzelunternehmen herunterbreche, ist es rentabel.

STANDARD: Wer aktuell über den Brenner Richtung Österreich oder Deutschland fährt, hat gute Chancen, mit Flüchtlingen aus Kriegsgebieten wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak im Zug zu sitzen. Wer in Österreich aufgegriffen wird, landet entweder in Zelten oder in der Obdachlosigkeit. Ihr Befund?

Stöger: Es gehört zur Demokratie, dass man das Asylrecht akzeptiert. Es gibt keine Menschenrechte ohne Asylrecht. Wer das einmal begriffen hat, dem muss klar sein, dass man diesem Recht Raum geben muss. Und zwar konkret Raum. Das ist immer schwierig, denn da gibt es Ängste, Sprachbarrieren. Viele, vor allem sozialdemokratische Bürgermeister tun etwas. Aber es gibt auch immer ein paar Deppen. In meinem Bezirk, ich bin in Urfahr-Umgebung zuständig, ist das kein Problem, wenn es nicht jemand zu einem macht. Ich sage ganz bewusst als Technologieminister: Wir brauchen kluge Köpfe aus aller Welt. Die Leute, die da kommen, die können etwas. Für die müssen wir uns öffnen. Eine Demokratie lebt vom Austausch. Das kann man auch als Chance sehen.

Pichowetz: Da bin ich völlig bei Ihnen. Aber wir diskutieren das in einem schönen Büro. Ich glaube nicht, dass die, die da draußen in Traiskirchen am Boden liegen, davon etwas haben. Sie sind zwar nicht der verantwortliche Minister, aber als Staatsbürger gesprochen: Nach außen gab sich die Regierung da leider einen Stempel der Unfähigkeit ...

Stöger: Da muss man zwischen Regierung und Verantwortlichen unterscheiden ...

Pichowetz: Also gut, nehmen S' die Frau Innenminister her, das ist mir eigentlich völlig wurscht jetzt.

Stöger: Aber mir nicht!

Pichowetz: Es ist ja Chefsache geworden. Dass Asylrecht Menschenrecht ist, darüber brauchen wir gar nicht zu diskutieren. Ich finde, dass es wirklich eine Schande ist, dass sich Landeshauptleute so vehement gegen Flüchtlingsunterkünfte wehren. Von der SPÖ habe ich da auch noch kein klares Stopp vernommen.

Stöger: Also unsere klare Position ist: Zelte gehen nicht ...

Pichowetz: ... na, aber sie sind ja da ...

Stöger: ... aber sie gehen nicht!

Pichowetz: Wissen S', was mich nervös macht? Dass sich dann Populisten und Demagogen dieses Thema auf ihre Fahnen heften. Gerade denen sollten wir nicht in die Hände spielen.

STANDARD: Tun Sie selbst genug, Herr Minister? Ist das ein Thema, das Sie bewegt?

Stöger: Mir ist ganz wichtig, dass wir Österreich offen halten. Es ist halt auch nicht so einfach für den Apparat, bei diesem komplexen Thema schnell zu reagieren. Irgendwann gibt es nämlich ein konkretes Haus, und dann wird es schwierig. Insofern war der Vorschlag vernünftig: Schauen wir uns die Einheit der Bezirke einmal an. Ich kenne meinen Bezirk, da weiß ich, wo es geht.

STANDARD: Ihr Parteifreund, der Traiskirchner Bürgermeister Babler, ist fassungslos ob sechs Wochen Ministerratspause. Verträgt das Thema eine Sommerpause?

Stöger: Das ist ein Blödsinn. Der Herr Babler sollte die Verfassung lesen. Wer ist für das Problem der Flüchtlingsbetreuung zuständig? Die Verantwortlichen sitzen im Innenministerium und in den Ländern. Die Gesamtverantwortung der Bundesregierung ist das im Operativen nicht.

Pichowetz: Dann müssen wir die Verfassung ausdrucken und jedem Staatsbürger in die Hand drücken, damit er's liest. Was ich Ihnen damit sagen will: Das ist dem Österreicher an sich egal. Der will das Problem gelöst haben.

"Warum schließe ich von vornherein eine Option aus, die der andere wunderbar aufgreifen kann?", fragt Pichowetz die roten Blau-Skeptiker.
Foto: Standard/Regine Hendrich

STANDARD: Stichwort Babler: Können Sie die Unzufriedenheit, die er und zahlreiche andere mit der Initiative "Kompass" ausdrücken wollen, nachvollziehen?

Stöger: Gemessen an dem, wie die SPÖ die Gesellschaft verändern will, zu dem, wie sie die Gesellschaft verändern kann – ja. Stellen Sie sich vor, Sie bestellen einen Handwerker ins Haus, und der kommt ohne Werkzeugkiste. Wir haben das Problem, dass die Werkzeugkiste in einer Koalitionsregierung mit einer Zustimmung in der Größenordnung von 26 Prozent nicht ganz voll ist. Viele glauben, wenn man heute sagt "So geht's", hat man morgen die Lösung. Nur, das spielt es so nicht. Wenn es dann ins Detail geht, sind die meisten Dinge sehr schwierig und gehen – auch mir – viel zu langsam. Insofern verstehe ich diese Unzufriedenheit.

STANDARD: Initialzündung für die Gruppe "Kompass" war Rot-Blau im Burgenland. Herr Pichowetz, was halten Sie von der Doppelbotschaft Rot-Blau auf Landesebene "hui", im Bund "pfui"?

Pichowetz: Die verstehe ich nicht. Wenn eine Partei rechtspopulistisch ist und das rechte Gedankengut vorneweg trägt, dann ist sie laut dem Wiederbetätigungsgesetz in Österreich zu verbieten. So einfach ist das. Alles andere darf sich demokratisch aufstellen und wählen lassen. Offenkundig ist die FPÖ dann nicht so rechts. Die SPÖ verbaut sich damit Optionen. Die Angst, die noch Vranitzky schüren konnte mit "Wählts die nicht, weil dann ...", das hat damals noch gefruchtet. Heute ist es den Leuten offenkundig gleichgültig.

STANDARD: Herr Minister, was halten Sie vom Annäherungs- und Abgrenzungsverhalten Ihrer Partei zur FPÖ?

Stöger: Ich sehe auf Bundesebene kaum etwas, das man gemeinsam machen kann, etwa für Arbeitnehmer. Es ist mit der ÖVP schon sehr, sehr schwierig.

Pichowetz: Warum schließe ich mir von vornherein eine Option aus, die dann der andere wunderbar aufgreifen kann und sagt: "Ätsch, dann machen es wir"?

Stöger: Das ist eine taktische Frage. Wir haben einen Parteitagsbeschluss. Das verführt, nicht denken zu müssen. Aber wir müssen in der konkreten Situation konkrete Antworten liefern. Die Antwort, die die Burgenländer getroffen haben, halte ich für höchst problematisch. Ich möchte nicht mit FPÖ-Ministern auf einer Regierungsbank sitzen, die nachher jahrelang die Justiz beschäftigen. Was mich so ärgert: Diese Freiheitliche Partie hat ja bewiesen, dass sie es nicht kann.

STANDARD: Wird die oberösterreichische SPÖ Ausländer aktiv zum Thema machen?

Stöger: Glaube ich nicht.

"Ich möchte nicht mit FPÖ-Ministern auf der Regierungsbank sitzen, die jahrelang die Justiz beschäftigen", begründet Alois Stöger seine Ablehnung von Rot-Blau.
Foto: Standard/Regine Hendrich

STANDARD: Ist der Kanzler einem Wahlerfolg zu- oder abträglich?

Pichowetz: Oft dreht sich in der Politik der Wind schnell, und man wird entzaubert. Als Wohnbaustadtrat, als Verkehrsminister – das waren Ressorts, wo Faymann sich gut als Managertyp vermarkten konnte. Aber als Kanzler einer Koalitionsregierung ...

STANDARD: Apropos Managertyp: Wie erleben Sie ÖBB-Chef Christian Kern in der Zusammenarbeit?

Stöger: Er ist der Manager eines Unternehmens, dessen Eigentümervertreter ich bin. Da macht er einen guten Job, ich erlebe ihn als exzellenten Manager.

STANDARD: Mit dem Zeug zum Politiker?

Stöger: Schauen Sie, jeder Mensch hat in einer Demokratie auch die Möglichkeit, in die Politik zu gehen. Ich spreche das keinem Menschen ab. In Wirklichkeit leidet die Gesellschaft ja daran, dass zu wenige in die Politik gehen. (Karin Riss, 23.7.2015)