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Der regimekritische Ai Weiwei umarmt eine Besucherin seiner Ausstellung Anfang Juni in Peking.

Foto: APA/EPA/ROLEX DELA PENA

Ai Weiwei hat seinen Pass wieder. Er darf damit auch ausreisen. Der weltbekannte in China verfolgte und offiziell jahrelang totgeschwiegene Künstler erhielt am Mittwochnachmittag von den Sicherheitsbehörden sein ihm seit April 2011 abgenommenes Reisepapier ohne alle Auflagen wieder. "Es hat ziemliche Zeit gekostet. Ich habe vier Jahre und drei Monate auf diesen Moment gewartet", sagte Ai dem STANDARD in einem Telefongespräch. Aber das sei jetzt ein "besonderer Moment" für ihn. "I am happy" wiederholte er auch in Englisch. "Ich bin froh".

Sein erstes Reiseziel werde Deutschland, genauer gesagt Berlin sein, wo sein sechsjähriger Sohn seit elf Monaten lebt und zur Schule geht. Ai hat ihn dorthin auch aus Gründen der Sicherheit geschickt. Der 58-Jährige muss sich auch einer Nachuntersuchung seiner Kopfoperation 2008 in München unterziehen, Spätfolgen eines brutalen Überfalls auf ihn. Und er hat zudem eine Gastdozentur an der Berliner Universität der Künste verliehen bekommen, die er bisher nie antreten durfte. Aber: "Ich muss mich jetzt erstmal um das Visum kümmern und meinen Flug buchen."

2011 am Flughafen verschleppt

Im April 2011 hatte die Polizei den regimekritischen Künstler kurz vor seinem Abflug zu einer Auslandsausstellung am Pekinger Flughafen gestoppt und verschleppt. Sie unterstellte ihm Anstifter einer subversiven Protestbewegung zu sein, hielt ihn 81 Tage lang versteckt in auch nach Chinas Gesetzen illegaler Einzelhaft, wo er mit Methoden des Psychoterrors verhört wurde. Nachdem sich alle politischen Vorwürfe als grundlos erwiesen, schoben die Behörden eine absurde Steuerbetrugs-Klage gegen ihn nach. Der rechtswidrige Umgang mit dem Künstler schadete international dem Ansehen der Volksrepublik mehr als jede andere Willkürmaßname und Repression gegen Andersdenkende.

Ai, der sich trotz Schikanen und Beobachtung rund um die Uhr den Mund und kritische Reden nicht verbieten ließ, wurde nach seiner Entlassung stillschweigend erlaubt, von Peking aus Dutzende seiner Werkschauen im Ausland zu konzipieren, vorzubereiten und in Metropolen der Welt in den renommiertesten Kunstmuseen zu zeigen. Täglich protestierte Ai auf besondere Art gegen seine Pass-Schikane, die ihm nicht erlaubte, die spektakulären Ausstellungen in New York, London, Paris oder Berlin selbst zu eröffnen. Vom 30. November 2013 an legte er als Protest in den Korb eines angeketteten Fahrrades vor seinem Atelier jeden Tag frische Blumen.

Reisen im Inland erlaubt

Ai durfte innerhalb Chinas reisen. Es gab nie eine offizielle Anklage gegen ihn. Doch vier Jahre lang durfte keine Ausstellung von ihm im Inland gezeigt werden. Von der offiziellen Presse wurde er totgeschwiegen ungeachtet vieler weltweiter Preise und Auszeichnungen. Seit acht Monaten begann Peking den vielseitigen Künstler, der einst als Architekt das 2008 weltberühmt gewordene chinesische Olympiastadium Vogelnest mitentwarf, stillschweigend und praktisch, Schritt um Schritt zu rehabilitieren, ohne von ihm zu verlangen, sich dafür verbiegen oder vor der Staatsmacht verbeugen zu müssen.

Ai, der seit 2005 mehr als 100 große Werkschauen im Ausland ausrichtete, durfte plötzlich in Peking eigene Ausstellungen unter seinem Namen zeigen und zu ihrer Eröffnung auch kommen. Er zeigte dabei auch eine Porzellanfigur des Blumenkorbs am Fahrrad als ein Kunstwerk des Protests. Chinesische Zeitungen durften berichten. Es war die letzte Hürde, bevor ihm die Behörden dann am Mittwoch seinen beschlagnahmten Reisepass wiedergaben. Am Dienstag überschrieb das Pekinger Parteiblatt "Global Times", die ihn früher besonders boshaft schmähte, plötzlich eine positive Würdigung des vielseitigen Künstlers mit dem Titel. "Die Rückkehr des Ai Weiwei." (Johnny Erling aus Peking, 22.7.2015)