Foto: 360t

Begonnen hat alles auf einer Bierkiste. Dort steht nach der Gründung im Jahr 2000 der Server der Devisenhandelsplattform 360T. Die Firmenzentrale liegt über einem griechischen Restaurant an einer großen Frankfurter Ausfallstraße. Die Aussichten sind alles andere als rosig. Die Dotcom-Blase ist gerade geplatzt und Geld für Start-ups knapp.

"Es war eine taffe Zeit voller Entbehrungen – monetär und auch für das private Umfeld", sagt 360T-Chef Carlo Kölzer. Aber er und die anderen Gründer glauben fest an ihre Idee – und beißen sich durch.

Zu einem der wichtigsten Akteure aufgestiegen

Das hat sich ausgezahlt. Die Firma, die inzwischen im schicken Frankfurter Westend Carree residiert, ist zu einem der wichtigsten Akteure am täglich rund fünf Billionen Dollar (4,6 Billionen Euro) schweren Devisenmarkt aufgestiegen. Im vergangenen Jahr wurden über die Plattform pro Tag im Schnitt Geschäfte mit einem Volumen von 90 Mrd. Euro abgewickelt. Weltweit kommt 360T nach Angaben des Branchenmagazins "Euromoney" derzeit auf einen Marktanteil von 15 Prozent – und liegt damit hinter FXall von Thomson Reuters (37 Prozent) und FX Connect von State Street (16 Prozent) auf Rang drei.

Bereits seit einigen Jahren sind bei 360T Finanzinvestoren an Bord, seit 2012 gehört die Firma mehrheitlich der US-Beteiligungsgesellschaft Summit Partners. Sie wird das Unternehmen in den kommenden Wochen vermutlich an die Deutsche Börse oder einen anderen etablierten Finanzkonzern weiterverkaufen. Insider rechnen mit einem Preis von 600 bis 750 Mio. Euro.

Das wertvollste deutsche Finanz-Start-up

360T wäre damit das wertvollste deutsche Finanz-Start-up aus der Internet- und IT-Welt (FinTech) – und ein Vorbild für Hunderte von FinTechs, die derzeit in Berlin, Frankfurt und anderen Städten wie Pilze aus dem Boden schießen. "Ein Verkauf von 360T würde nachweislich zeigen, dass auch in Deutschland weltweit führende FinTech-Unternehmen entstehen, und somit die Aufmerksamkeit und das Investitionsinteresse von internationalen Investoren für deutsche FinTechs weiter steigern", sagt Thomas Bloch vom Deutschen Start-up-Verband.

Kölzer ist im Rheingau aufgewachsen und reichert seinen hessischen Dialekt mit zahlreichen Anglizismen an. Für Dresdner Kleinwort hat er mehrere Jahre als Investmentbanker in New York und Frankfurt gearbeitet, bevor er 360T ins Leben ruft. Anfang des Jahrtausends laufen die meisten Devisengeschäfte noch übers Telefon. Dabei kommt es allerdings immer wieder zu Missverständnissen. Und die Unternehmen kriegen meist nicht den besten Preis, da sie nur schwer mit mehreren Banken gleichzeitig sprechen können. Mit 360T wird für die Konzerne vieles leichter. "Die Plattform bietet den großen Vorteil, dass wir gleichzeitig bei mehreren Banken einen Preis anfragen und dann den günstigsten Anbieter auswählen können", sagt Dirk Schreiber, der die Treasury-Abteilung des Gesundheitskonzerns Fresenius leitet. "Dadurch sparen wir signifikant Geld." Inzwischen wickeln 29 von 30 Dax -Konzernen ihre Devisengeschäfte über die Frankfurter Firma ab.

Lufthansa

Den Anfang macht die Lufthansa, die 2002 erstmals über 360T handelt. Bis die Plattform aus den roten Zahlen kommt und das Volumen deutlich anzieht, dauert es allerdings noch bis 2004. Die ersten Jahre sind hart. Mehrmals steht die Firma vor dem Aus. Die Gründer betteln dann bei Verwandten und Freunden um weiteres Geld. "Wir hatten eine FFF-Aktionärsstruktur", sagt Kölzer. "Family, friends and fools" – Familie, Freunde und Narren.

In den Anfangsjahren übernachtet Kölzer bei Dienstreisen oft auf der Couch von Freunden oder in billigen Absteigen. "Manchmal kam ich in Hotels, in denen das Bett noch warm war." Wenn er mit ehemaligen Kollegen aus dem Investmentbanking unterwegs ist, laden sie ihn mitleidig auf ein Bier ein. Kölzer, der noch rund neun Prozent an 360T hält, kann sich dafür inzwischen locker revanchieren. Wenn der Verkauf seiner Firma unter Dach und Fach ist, steigt der 42-Jährige zum Multimillionär auf. (APA, 22.7. 2015)