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Nicht jede Kleidung ist gleich Mode. Während Trachten oder Uniformen auf Beständigkeit setzen, ist die ständige Suche nach Neuem das Markenzeichen der Mode.

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Mode wurde zum Werkzeug für ein Spiel mit Identität.

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Mode ist nicht nur Mode. Schon Honoré de Balzac brachte das streng zum Ausdruck: "Der Mensch, der in der Mode nur die Mode sieht, ist ein Dummkopf." Zwei Jahrhunderte später will ein Mann aus der Modebranche die Bedeutung eines Kleidungsstücks nicht hoch genug bewerten: "Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren", sagte der Designer Karl Lagerfeld 2012 in einer Talkshow.

Etwas differenzierter packen es die Modetheorien an, die vor allem in Großbritannien akademisch gut verankert sind. Doch es tut sich auch in Deutschland und Österreich derzeit einiges diesbezüglich: Die deutschsprachigen Publikationen zu Modetheorien häufen sich, und die Interessenvertretung der Textil-, Kleider- und Modeforschung "mode textil" versucht nach und nach, den Modewissenschaften an den Unis mehr Raum zu verschaffen. Gertrud Lehnert, Professorin an der Uni Potsdam und Herausgeberin der Reihe "Fashion Studies" (Transcript-Verlag), sieht aber noch immer eine mangelnde akademische Anerkennung für die Mode-Wissenschaft.

Trotzdem arbeiten sich an den Phänomenen der Mode viele Disziplinen ab: Literaturwissenschaften, Germanistik, Ethnologie, Philosophie, Kunstgeschichte, Psychologie und vor allem die Kunsttheorie und Soziologie. Auch der Forschungsfokus ist vielfältig: Die Kostümforschung beschäftigt sich als historisch älteste Modedisziplin, die bereits aus der Zeit der Aufklärung stammt, mit Kostümen und Kleidersystemen der Vergangenheit. Die technologische Textilforschung mit Materialen, Textile Studies mit Fragen der materiellen Kultur und die Fashion Studies erforschen neuere Entwicklungen in der Mode, erklärt Elke Gaugele, Professorin an der Akademie für bildenden Künste in Wien.

Schnell und vergänglich

Doch nicht alles, was wir tragen, ist Mode. Funktionale Kleidung wie Arbeitskleidung hat mit Mode im engeren Sinne ebenso wenig zu tun wie Trachten. "Trachten können manchmal auch Mode sein, aber sie setzen eher auf Beständigkeit und Geschichte – wie auch Uniformen. Mode sucht hingegen grundsätzlich immer das Neue", definiert Lehnert den Begriff. Mode zeichnet Geschwindigkeit, Vergänglichkeit und zyklische Bewegung aus.

Dass einer dieser Zyklen in der Mode maßgeblich von oben nach unten verläuft, beschrieb bereits der Soziologe Georg Simmel 1905 in seinem Text "Philosophie der Mode", der heute ein Klassiker der Modetheorie ist. Wenn "die unteren" die von "den oberen" mit Mode gesetzten Grenzmarkierungen durchbrechen, gehen die Oberen auf die Suche nach Neuem, um sich von der breiten Masse abzuheben, schreibt Simmel. Lapidarer drückte es der französische Soziologe Pierre Bourdieu aus: "Wenn der Minirock in Hintertupfingen angekommen ist, fängt alles wieder von vorn an." Schon in der Vormoderne war Mode ein wichtiges Mittel zur sozialen Abgrenzung. Mode war in erster Linie Statusmode und der Aristokratie vorbehalten.

Mode und Status

Ein König musste sich als König kleiden. "Als sich Marie Antoinette in einer gerade modern gewordenen Chemise – einem schlichten weißen Kleid – malen ließ, gab es einen Skandal", erzählt Lehnert. Trickle-down ist also nicht die einzige Richtung in der Mode. So entstand auch schon im Barock eine Landsknecht-Mode mit Schlitzen in der Kleidung, die in aristokratischen Kreisen übernommen und variiert wurde. Heute verbreiten Street-styles, Modeblogs und Instagram unterschiedlichste Stile. "Mode breitet sich heute von oben nach unten, von unten nach oben sowie horizontal aus", sagt Lehnert.

Trotz neuer Einflüsse, die nicht mehr nur durch Designer und Industrie diktiert werden, beschäftigt die Modewissenschaften, ob es so etwas wie individuelle Mode überhaupt geben kann. Eine Antwort fand Simmel durch seine Betrachtung des Verhältnisses von Gesellschaft und Individualität: Er sah sowohl die Neigung zur Nachahmung als auch den Wunsch des Sich-Abhebens, den Modedurch Variationen bedient, als zentrale Motive in modernen Gesellschaften. "Gesellschaftliche Normierung findet also gerade dadurch statt, indem ich mich als Individuum begreife. Das ist eine sehr aktuelle Denkfigur", ist Gaugele überzeugt. Auch Lehnert betont, dass es genau dieses Paradox sei, das die Modetheorie seit mehr als 200 Jahren und bereits den ersten deutschsprachigen Modetheoretiker, den 1742 geborenen Philosophen Christian Garve, beschäftigte.

Widerstand zwecklos?

Wie steht es also um den Handlungsspielraum im Feld der Mode? Lehnert sieht durchaus Möglichkeiten im modischen Handeln. Mode habe nicht nur eine soziale Komponente, sondern sei auch ästhetisches Handeln. Sie erforscht Mode vor allem mit den Theorien des Performativen. "Vollzüge und Rituale sind das, was Kultur mitbestimmten", für die Mode bedeute das, dass Kleider erst mal nur ein Angebot sind. "Wir können das Angebot aufgreifen und uns selbst damit gestalten. Erst das, was aus Kleidern und Accessoires gemacht wird, ist für mich Mode."

Die Fashion Studies gehen in ihren Analysen über neuere Entwicklungen in der Mode ähnlich vor. Ein Fokus auf die emanzipatorischen Aspekte der Mode lässt sich seit den 1980-Jahren beobachten, erklärt Sonja Eismann, Kulturwissenschafterin und Mitherausgeberin des Popkulturmagazins "Missy Magazin". "Feministisch orientierte Forscherinnen fingen zu der Zeit an, Mode nicht mehr primär als Unterdrückungsinstrument zu betrachten, sondern auch als vielfältiges Spiel um Identitätskonstruktionen."

Neben den Einflüssen der Gender Studies teilen die Fashion Studies die, wie Eismann sagt, "unvoreingenommene Haltung" der Cultural Studies gegenüber Konsumgewohnheiten. Im Sinne eines emanzipatorischen Zugangs zur Mode wünscht sich Eismann, dass mehr Forschungsliteratur in den öffentlichen Diskurs gelangt. "Presseartikel über Mode verharren immer sehr im Hier und Jetzt", selten würden Bezüge auf neuere und klassische Texte der Modeforschung hergestellt werden. "Dabei könnten wir daraus so viel lernen", ist Eismann überzeugt.

Die dunkle Seite

Trotz des Perspektivenwechsels der letzten Jahre werden die dunklen Seiten der Modewelt nicht vom Radar verschwinden, im Gegenteil: Gaugele spricht künftig vor allem der Nachhaltigkeit, Produktion und Globalisierungskritik in den Modetheorien eine zentrale Rolle zu. Darin läge auch einer der Gründe für den Ethical-Fashion-Trend, in dessen Folge sich Mode und Politik in den letzten Jahren mehr einander angenähert haben; politische Bewegungen wurden auch modische und umgekehrt.

Die Kritik an "Fast Fashion", also massenproduzierter Mode, die immer billiger in immer kürzeren Zyklen auf den Markt geworfen wird, ist lauter geworden. Auch Lehnert sieht darin wichtige künftige Forschungsbereiche. "Wir können es nicht hinnehmen, dass ein großer Teil der Modekleidung unter umwelt- und gesundheitsschädlichen bis tödlichen Bedingungen hergestellt wird – man denke nur an die vielen Unfälle in Fabriken in Bangladesch und anderswo." Ein Grund mehr, in die Tiefenstrukturen der Mode vorzudringen. (Beate Hausbichler, 22.7.2015)