Hafen von Bristol

Heute ist die Welt – mit Einschränkungen – ein offenes Buch: Google Maps liefert detaillierte Satellitenbilder zu allen erdenklichen Orten der Welt, auf Wikipedia wird das geballte Wissen der Welt gesammelt – und Wikileaks legt auch noch hochgeheime Dokumente drauf. Vor der Erfindung des Internets war es noch ungemein schwieriger, die Welt zu vermessen und das vorhandene Wissen zu visualisieren. Einen faszinierenden Einblick in Versuche, Macht durch Wissen zu schaffen, liefern nun sowjetische Landkarten, die langsam ihren Weg ins Netz finden.

Verantwortlich dafür sind Menschen wie Russel Guy von Omnimap, der sich etwa 1989 ins estnische Tallinn aufmachte, um dort für 250.000 Dollar tausende hochgeheime Landkarten zu erwerben. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien zu den Karten, auch die Netzgemeinde versucht deren letzte Rätsel zu lösen. Faszinierend sind die Karten allemal, wie zehn Fakten dazu zeigen:

  • Die Landkarten wiesen weit mehr Details als ihre westlichen Pendants auf. Wer die hochgeheimen Sowjet-Karten mit britischen Landkarten vergleicht, sieht, dass bei Ersteren beispielsweise Änderungen im Straßenverlauf sofort markiert wurden.

  • Das geschah durch eine Vielzahl an Spionen vor Ort, die oft verkleidet geografische Gegebenheiten ausspähten oder die Länge von Gebäuden vermessen haben. So kann man in sowjetischen Karten sogar Details über Hochsicherheitszonen erfahren, die in europäischen oder US-Karten einfach weiß gelassen wurden.
Die Alameda-Basis der Air Force bei San Francisco: hochgeheim, aber nicht für Sowjets.
Foto: EVG
  • Die Sowjets mussten so detaillierte Karten anfertigen, da sie in der Luft den US-Amerikanern unterlegen waren, analysiert Wired. Ein sowjetischer Vorstoß wäre primär über Panzer und Truppen erfolgt, weniger über Luft und See – deshalb waren die geografischen Gegebenheiten so wichtig.

  • Wer als Sowjet-Militär eine solche Karte verlor (überhaupt hatten nur obere Führungskräfte Zugang), musste mit schlimmsten Strafen rechnen. Noch 2012 wurde ein Geographe verurteilt, weil er Landkarten an die USA verkauft hatte.
In London wurden beispielsweise alle Gebäude eingezeichnet.
Foto: EVG
  • Für manche europäischen Städte wurden sogar Karten im Maß 1:10.000 angefertigt. Diese verfügen über drei Dimensionen, beispielsweise sind Strom- und Gasleitungen eingezeichnet.

  • Dreizehn österreichische Städte wurden im höchsten Detailgrad abgemessen, um gegebenenfalls bei einer Invasion mit perfekten Plänen angegriffen zu werden: Baden, Bregenz, Graz, Innsbruck, Klagenfurt, Kufstein, Linz, Mödling, Salzburg, St. Pölten, Steyr, Wels und natürlich Wien. Manche Karten stammen noch aus den späten 1980ern, sind aber leider noch nicht online.
Hier sitzt der Erzfeind: sowjetische Karte des Pentagon.
Foto: EVG
  • Sowjetische Einwohner hatten hingegen selbst nur sehr schlechte Karten – auch das diente militärischen Zwecken. Offiziell verkaufte Karten basierten auf der riesigen Weltkarte im Maßstab 1: 250.000.000, die einfach vergrößert wurde – was natürlich relativ sinnfrei ist. Außerdem wurden landschaftliche Gegebenheiten weiter verzerrt, um die Gegner zu verwirren. Währenddessen fertigte das Militär mehr als 1,1 Millionen Landkarten an.

  • Sowjetische Militärs berechneten etwa, wie laut Schuhe im Schnee knacksen oder aus welcher Entfernung man bei Nacht eine glimmende Zigarette sieht. Das wurde dann in einigen Karten eingetragen.

  • Teilweise weisen die Karten aber auch absurde Fehler auf, wie Wired berichtet. So wurden US-Bundesstaaten verwechselt, in London wurde eine U-Bahn-Linie "erfunden".

  • Die Landkarten wurden in den 1990ern von großen Telekomkonzernen gekauft, da sie die detailliertesten Infos zu infrastrukturell noch unerschlossenen Gebieten in Afrika oder Asien aufwiesen. Glasfaser und Festnetz-Routen basieren in diesen zwei Kontinenten also oft auf früher hochgeheimen Sowjet-Landkarten.

  • Noch kurioser: Die US-Regierung gilt selbst als einer der größten Käufer von Sowjet-Karten, die beispielsweise noch 2001 beim Krieg in Afghanistan genutzt wurden.

Mittlerweile regiert der Satellit

Mit der National Geospatial Agency (NGA) verfügen die USA allerdings selbst über eine hochpotente Agentur für geheime Landkarten – die übrigens in den kommenden Jahren innerhalb der Geheimdienst-Community an Bedeutung gewinnen soll. Interessierte können sich die Landkarten der Sowjets an einer Vielzahl von Orten besorgen oder ansehen: Im Netz bietet etwa "SovietMaps.com" eine gute Übersicht, auf Mapstor kann man digitalisierte Karten gegen ein geringes Entgelt herunterladen – und so selbst einen Einblick in das laut Wired "Google Maps und Wikipedia" der Sowjets erhalten. (fsc, 23.7.2015)