Die Überreste dieses Menschen aus Norditalien zeugen von der frühesten bekannten Zahnbehandlung der Welt (DER STANDARD berichtete). Er starb vor rund 14.000 Jahren, wie wir dank Radiokarbondatierung wissen.

Foto: a. broglio

London/Wien – An Anwendungsgebieten für die Radiokarbondatierung, auch als C14-Methode bekannt, mangelt es nicht: Dieses Verfahren zur Altersbestimmung kohlenstoffhaltiger, insbesondere organischer Materialien bis zu etwa 50.000 Jahren ist für etliche Forschungsbereiche zentral. Allen voran zu nennen ist natürlich die Archäologie – aktuell bedienten sich etwa britische Forscher der Methode, um das Alter eines der frühesten Koranfragmente zu bestimmen.

Auch aus der Kriminologie ist die Radiokarbondatierung längst nicht mehr wegzudenken, etwa um Fälschungen zu entlarven oder um als alt deklariertes, gewildertes Elfenbein zu identifizieren. Das Verfahren beruht darauf, dass der Anteil des Kohlenstoffisotops C14 in organischen Materialien nicht konstant bleibt. Lebende Organismen nehmen ständig neuen Kohlenstoff und damit auch C14 auf, das hauptsächlich in der Stratosphäre entsteht.

Berücksichtigte Schwankungen

Nach dem Tod eines Lebewesens endet dieser Stoffaustausch, und die Konzentration des Isotops sinkt durch radioaktiven Zerfall mit einer Halbwertszeit von 5730 Jahren. Die Kohlenstoffisotope C12 und C13 bleiben hingegen stabil. Bestimmt man also in einer Probe das Verhältnis von C12 zum noch vorhandenen C14-Anteil, lässt sich daraus ihr Alter errechnen.

Ihrem Erfinder, dem US-Chemiker Willard Frank Libby, brachte diese Entdeckung 1960 den Nobelpreis ein. Dass auch der C14-Anteil, den ein Organismus zu Lebzeiten aus der Atmosphäre aufnimmt, Schwankungen unterliegt, die in Messungen berücksichtigt werden müssen, war von Anfang an klar.

Und daran ist der Mensch nicht unbeteiligt: So führten etwa die Atomtests der 1950er- und 1960er-Jahre zu einem dramatischen Anstieg des instabilen Isotops in der Atmosphäre, was in den darauffolgenden Jahrzehnten bei der Anwendung der Methode stets bedacht werden musste.

Unverlässliche Resultate

Doch diese Entwicklung hat sich mittlerweile umgekehrt, wie Heather Graven vom Imperial College London im Fachblatt "PNAS" berichtet: Denn der massive CO2-Ausstoß durch die Verbrennung fossiler Energieträger wie Erdöl und Kohle, die Millionen Jahre alt und dadurch frei von C14 sind, verringert kontinuierlich den Anteil des Isotops in der Atmosphäre. Diese wirkt damit aus Sicht der Datierungsmethode zunehmend älter, so Graven. Die Forscherin sieht deshalb die Radiokarbondatierung als verlässliches Mittel zur wissenschaftlichen Altersbestimmung in Gefahr.

In wenigen Jahrzehnten drohe die Atmosphäre demnach so alt zu erscheinen, dass selbst junge organische Überreste Werte aufweisen könnten, wie man sie bisher nur von jahrtausendealten Funden kennt. Ein 2050 produziertes T-Shirt aus Baumwolle könnte etwa die gleichen Werte erreichen wie die Robe von Wilhelm dem Eroberer (1027-1087), warnt die Wissenschafterin.

Emissionen drosseln

Für Funde, die ohne ausreichenden Kontext entdeckt werden, könne die Radiokarbondatierung dann keine eindeutigen Resultate mehr erzielen. Selbst ein sofortiger Rückgang der Emissionen und die Einhaltung des Klimazieles, die globale Erwärmung nicht über zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Wert steigen zu lassen, würden das Problem nicht lösen – aber doch gehörig abfedern. "Wenn wir die CO2-Emissionen reduzieren, wäre das nicht nur für das Klima gut, sondern auch für die Radiokarbondatierung", so Graven. (David Rennert, 22.7.2015)