Eine Landschaft wie im Paradies, eine Geschichte, die altmodisch und postmodern zugleich die ukrainischen Traditionen auf die Schaufel nimmt: "The Flight of the Golden Fly".

Foto: Festival OIFF

"Erwarten Sie keine Geschichte", sagte der Regisseur und Produzent Ivan Kravchyshyn vor der Vorführung von The Flight of the Golden Fly beim diesjährigen Filmfestival von Odessa. Das war natürlich die erste Pointe einer turbulenten Dorfposse, die im ukrainischen Wettbewerb vergleichsweise neue Töne anschlug. Denn so altmodisch und postmodern zugleich wurden die nationalen Traditionen noch selten auf die Schaufel genommen.

Ein Mädchen namens Mykola, das von seinem Vater diesen Bubennamen verpasst bekommen hat, erzählt drei Geschichten, die nicht oder zu gut auf- und ineinander übergehen. Bezeichnenderweise hat diese äußerste Provinz, in der noch heftig gezecht, wild geprügelt und fröhlich musiziert wird, einen wichtigen symbolischen Sinn.

Kravchyshyns Film spielt an einem der Orte, die als Mittelpunkte Europas gelten, im Südosten der Ukraine, in einer wunderschönen Landschaft, die man ohne Weiteres zum Paradies ausrufen könnte. Nur dürfte man dann auch die Bevölkerung nicht aufklären, sondern müsste sie in ihrem Naturzustand belassen, und der ist nun einmal ein wenig grob. Die Form, in der diese Spannung offen gehalten werden kann, ist die Komödie.

Dass sich nach der schwierigen Zeit seit dem Aufstand auf dem Maidan in der Ukraine ein neuer Heimatfilm entwickelt, ähnlich dem österreichischen nach dem Zweiten Weltkrieg, das ist aber schon deswegen ausgeschlossen, weil die Verhältnisse heute überall global geworden sind. So sieht The Flight of the Golden Fly zwar aus wie eine ukrainische Ausgabe der Löwinger-Bühne, macht aber auch Lust darauf, Italo Calvinos Das Schloss, darin sich Schicksale kreuzen wieder einmal zu lesen.

Es war die Programmierung dieses zweiten Odessa-Filmfestivals nach dem Maidan, die Kravchyshyns Film eine bedeutsame geschichtspolitische Position zuwies. Denn die Retrospektive galt der historischen Periode nach 1941, in der Odessa zuerst von Rumänien besetzt und später von der Roten Armee befreit wurde.

Hier gab es nicht nur die furiose Dokumentation Odessa von Florin Iepans zu sehen, in der der Regisseur in Manier eines Michael Moore die Wahrheit über die faschistische Kollaboration Rumäniens unter Marschall Antonescu und König Michael publikzumachen versucht. Es gab auch noch Alexander Dovshenkos Bukovina – The Ukrainian Land zu sehen, den der Nationalheilige des ukrainischen Kinos gemeinsam mit Yuliya Solntseva 1939 fertigstellte.

Eine Feier ausgerechnet der Landschaft, die auch nun wieder so etwas wie der Kernbestand eines umstrittenen Gemeinwesens sein soll, wie bei Kravchyshyn deutlich zu erkennen ist. Dovshenkos Bukovina zerfällt aber in drei Teile: in antirumänische Propaganda, in eine Feier der Roten Armee und Stalins, und dann noch in ein Fest der Sitten und Gebräuche in einem Land, in dem Menschen in schönen Trachten mit der Sichel das Heu von steilen Wiesen holen. Nur an diesen dritten Teil schließt The Flight of the Golden Fly an, und auch dies schon im halb ironischen Wissen, dass dieser Anschluss nur als Übertreibung gelingen kann.

Das Erbe Stalins ist aber aus dem Leben und der Geschichte der Ukraine nicht zu eliminieren. Insofern war es konsequent von Ivan Kozhlenko, dem zuständigen Kurator für die Retrospektive, dass er einen vollständigen Dovshenko zeigt: den Poeten der ländlichen Schönheit, aber auch den Apologeten der Sowjetisierung.

Kozhlenko brachte dann mit einem persönlichen biografischen Detail die komplexen Verhältnisse noch auf einen anderen Punkt: Seine Großmutter hatte in Odessa Juden vor der Deportation gerettet, wurde dann aber von der Roten Armee interniert, weil sie griechische Wurzeln hatte. Das Filmfestival in Odessa erwies sich in diesem Jahr mehr denn je als Labor für eine Vielvölkerwelt, die ihre Strukturen gerade sucht. (Bert Rebhandl aus Odessa, 20.7.2015)