Bernhard Pörksen und Andreas Narr (Hg.), "Die Idee des Mediums. Reden zur Zukunft des Journalismus".

€ 20,60 / 224 Seiten. Herbert-von-Halem-Verlag, Köln 2015

Kann es sein, fragte der Medienwissenschafter Bernhard Pörksen, dass die akademische Intelligenz die gegenwärtige Krise des Journalismus kaum zum Thema macht, "sich nicht für die Ökonomie der Qualität interessiert"? Er wollte das ändern. Gemeinsam mit Andreas Narr, dem Chef des Südwestrundfunk-Studios, gründete Pörksen 2003 die Tübinger Mediendozentur. Pate stand die Idee, Studen-ten der Medienwissenschaft mit prominenten Medienvertretern in Kontakt zu bringen und zu zeigen, so Narr, "dass es gerade in schwierigen Zeiten Journalisten braucht, die an sich und ihre Aufgabe glauben".

Was Praktiker den Studierenden auf den Weg mitgaben, ihre Reden zur Zukunft des Journalismus, ist jetzt in einem Sammelband nachzulesen. Die Idee des Mediums, so sein Titel, steht angesichts von Digitalisierung, Internet und sozialen Medien zur Diskussion. Die Reaktionen auf die Veränderungen der letzten beiden Jahrzehnte fallen – je nachdem, wer zu Wort kommt, ob aus Redaktionsräumen oder Vorstandsetagen – zuversichtlich bis sorgenvoll aus.

Einig sind sich die Beitragenden, dass Qualitätsmedien wichtig sind. Aber was Qualität ausmacht und wie sie erhalten werden kann, ist sehr strittig. Für Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender bei Axel Springer, "wird der Leser zum Vorgesetzten des Redakteurs. Der User sagt dem Journalisten, was ihn interessiert." Zugleich geht er davon aus, dass die Nutzer sowieso das Bedürfnis haben, qualifiziert informiert zu werden, egal durch welche Kanäle. "Der Geist bestimmt die Materie", formuliert er es wie den Versuch eines späten Siegs über den Marx'schen Materialismus.

"Was Leser wollen"

Dem halten zwei Medienprofis entgegen, dass Springers profitabelstes Medium Bild seinen Erfolg durchaus traditionellen Mitteln wie Nötigung und dem Dreschen von leerem Stroh verdankt und nicht neuverteilten Rollen in der digitalen Welt (so Hans Leyendecker von der Süddeutschen); bzw. dass der Hamburger Verlag solch klickbaren Mischungen aus "nötigen und unnötigen Nachrichten" wie BuzzFeed mit seinen Listen und Links als Vorbild hat, denen gegenüber Qualitätsmedien bereits das Nachsehen haben (Cordt Schnibben, Spiegel-Reporter und Gründer des Reporter-Forums). Fast alle Nachrichtenseiten im Netz würden sich danach richten, "was Leser wollen", Gedrucktes hingegen danach, "was Leser lesen sollen".

Der 2014 verstorbene FAZ-Feuilletonchef Frank Schirrmacher, dem das Buch gewidmet ist, plädiert in seiner Rede für eine Form des Journalismus, die per se weder viele Anzeigen noch Klickraten generieren mag, aber für eine kritische Öffentlichkeit unerlässlich ist. Allerdings würde diese Aufgabe in der auch für ihn unumkehrbaren Internet-Welt immer schwieriger, im Druck und erst recht im Fernsehen.

Nachruf auf das Fernsehen

Von dem, was Fernsehen einmal hätte leisten können und teilweise sogar geleistet hat, verabschiedet sich Roger Willemsen in einem teils zynischen, teils ironischen Nachruf. Zukunft passiert für ihn in anderen Kanälen, wobei er da sehr ungefähr bleibt. Durchaus konkret hingegen sieht Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, die Perspektiven für investigative Arbeit statt "automated journalism", egal in welchen Medien. "Sense-making" werde immer gefragt sein. Alice Schwarzer legt noch eins nach, indem sie über die andauernde Relevanz von Kampagnen in der von ihr gegründeten Emma spricht.

Es sind durchwegs deutsche Medienprofis, die hier zu Wort kommen, doch die Relevanz für österreichische Zustände ist kaum zu übersehen, wenn es etwa um Politiker geht, die die Rituale der Tabloids mitspielen und glänzend beherrschen; oder wenn davon die Rede ist, wie der öffentlich-rechtliche Auftrag bestimmter Medien ausgehöhlt wird und diese damit für eine kritische Gegenposition zu den Postillionen des "ungesunden Menschenverstands" verlorengehen. (Das Radio wird übrigens nicht einmal erwähnt).

Welche Zukunft hat der Journalismus? Diese Frage kann der Sammelband nicht schlüssig beantworten. Doch die Ansichten und Absichten der zu Wort kommenden Redner stecken zumindest das Feld ab, in dem wache Konsumenten sich orientieren können. (Michael Freund, Album, 18./19.7.2015)