Das Schönste am Internet ist, dass man nicht alles ansehen muss, was drinsteht. Erstens hätte man viel zu tun, wenn man das müsste. Zweitens sollte inzwischen auch der größte Technikfreak verstanden haben, dass es mit den Heilsversprechungen dieser Erfindung weniger auf sich hat, als man glauben wollte. Das bisschen Schwarmintelligenz muss man sich aus Megatonnen von Schwarmdebilität, Schwarmgamsigkeit, Schwarmgemeinheit und Schwarmüberwachung herauspopeln.

Warum gerade heute diese Klage? Weil es jüngst wieder ein paar extrakretinöse Eintragungen in die Idiotengeschichte des Webs zu vermelden gibt. Der Rapper 50 Cent hat ein Sexvideo einer Frau Leviston upgeloadet und abfällig kommentiert (fünf Millionen Dollar Schadenersatz). Der Wrestler Hulk Hogan klagt die Plattform Gawker auf 100 Millionen Dollar, weil sie ein Filmchen veröffentlicht hat, das ihn beim GV "mit der Frau seines besten Freundes" vorstellt.

In China ging ein Clip ins Netz, der ein Paar beim Sex in der Umkleidekabine eines Pekinger Modehauses zeigt. Offenbar gehört es zwingend zum Paarungsverhalten, den Beginn einer Beziehung mit einem Schnackselselfie zu zelebrieren, damit man im Fall des Zerwürfnisses dann etwas Schönes zu posten hat.

Nimmt man an, dass jede zweite Ehe geschieden wird und jede(r) zweite Geschiedene seine Sexdokumentationen mit dem oder der Ex ins Netz lädt, kann man inzwischen etwa einem Viertel der österreichischen Bevölkerung beim Kopulieren zusehen. Das freut die Internationale der Schwarmgamprigen und vor allem die Geheimdienste, die natürlich immer auf Neuzugänge in ihren Kopulationsfilmsammlungen scharf sind.

Besonders widerstrebt mir die Vorstellung, dass die Firma Amazon dank ihres prächtigen Vernetzungspotenzials ganz unbeschwert analysieren könnte, welche Lektüre ich mir wie lange auf ihrem Kindle zu Gemüte führe. Das ist mir ebenso unlieb wie ein Individuum, das physisch hinter mir steht und interessiert mitliest, was ich lese.

Da hilft nur die Flucht in die Welt der guten, alten, bewährten und diskreten Dinge. Mir kommen dieses Jahr nur Traditionsbücher aus eitel Papier, feinstem Buchbinderleim und duftenden Leinen- und Ledereinbänden ins Urlaubsgepäck. Das Netz kann mich gern haben. Analog ist das neue Bio. (Christoph Winder, Album, 17.7.2015)