Die Kerzen sind abgebrannt, der Mülleimer quillt über mit alten Devotionalien, Bilderrahmen und rostigen Laternen: Sie ist halbwegs heruntergekommen, die Gedenkstätte in Lambichl.

"Auf ewig in unserem Herzen – Danke Jörg"
Foto: Plankenauer

Hier, an dieser Stelle in der Klagenfurter Randgemeinde, hatte der ehemalige Landeshauptmann Jörg Haider die Kontrolle über seinen VW Phaeton verloren – mit tödlichem Ausgang. "Auf ewig in unserem Herzen – Danke Jörg" steht auf einer der Tafeln eingraviert. In einer Plastikhülle liegen noch ein paar Zettel mit verschwörungstheoretischer Propaganda zur Entnahme: "Tatort Lambichl – Wahrheit für Jörg. Du wurdest beseitigt, du tapferer Streiter." Botschaften aus einer untergegangenen Zeit.

Wohl kaum ein anderer hatte sich Jörg Haider emotional so verbunden gefühlt wie Stefan Petzner. Kathartisch und öffentlich lebte er den Tod seines – wie er ihn nannte – "Lebensmenschen" aus. Heute, fast sieben Jahre danach, sieht Petzner vieles abgeklärter. Seine eigene Rolle als intimer Wegbegleiter und engster Berater Haiders redet er sich klein. Vieles sei ihm "erst jetzt bewusst geworden". Vor allem, in welchem Tempo sich das Haider'sche Geldkarussell gedreht hatte und mit welchen Einsätzen im Kasino Kärnten, das zum Kriminalfall wurde, gespielt wurde.

"Er war der Cäsar"

"Schauen Sie", sagt Petzner, "ein Gastwirt hat mir kürzlich Folgendes gesagt: Wenn wir Förderungen gebraucht haben, sind wir zum Haider gerannt und haben das Geld gekriegt. Alles ist gefördert worden, vom Heustadl bis zur Lederhosen. Und keiner hat wissen wollen, ob wir uns das überhaupt leisten können als Bundesland."

"Alles ist gefördert worden, vom Heustadl bis zur Lederhosen."

In Kärnten war, sagt Petzner, "permanent Karneval, und wir haben rund um die Uhr wahlgekämpft, kampagnisiert und polarisiert. Es ist voll abgegangen. Und jetzt zahlen wir halt die Rechnung dafür."

Der grüne Landesrat und Hypo-Aufdecker Rolf Holub wird noch direkter: "Haider hatte Narrenfreiheit. Er war bei uns der Cäsar. Der konnte in die Bank hineingehen, ein Konto aufmachen und Gelder abheben – ohne Unterschrift, ohne Sicherheit. Wer hat sich schon getraut, ihm zu widersprechen? Angeschissen habe sie sich alle."

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"Haider hatte Narrenfreiheit. Er war bei uns der Cäsar."
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Aufräumarbeiten

Die neue Landesregierung unter Peter Kaiser (SPÖ) ist seit dem Amtsantritt vor zwei Jahren fast ausschließlich mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Immer am Rande des finanziellen Abgrundes balancierend, immer das Katastrophenbild Griechenlands vor Augen. Ohne den 343-Millionen-Euro-Kredit, den der Bund kürzlich nach langen, für Kärnten demütigenden Verhandlungen letztlich doch rausrückte, wäre das Land pleite gewesen. Die Salzburger Politikwissenschafterin und Europa-Expertin Sonja Puntscher-Riekmann ist der Meinung: "Im Grunde genommen ist Kärnten so pleite wie Griechenland."

In Klagenfurt macht in diesen Tagen eine neue Wortschöpfung die Runde. "Prekärnten" – die Fusion aus Prekariat und Kärnten.

Die Landesregierung muss jetzt jedenfalls den Gürtel brutal enger schnallen und nimmt dabei gerade jenen die Luft weg, die die größte Hoffnung in diese neue SPÖ-geführte Regierung gesetzt hatten. Jene, die nach den Haider-Jahren den Machtwechsel in Kärnten herbeigesehnt hatten – die kritischen, autonomen, freien Kultur- und Sozialinitiativen. Sie sind jetzt die Ersten, die den Sparstift zu spüren bekommen. Während ringsum, wie sie kritisieren, weiter mit hunderttausenden Euro Fasching gefeiert wird, beim Bodypainting-Festival, beim Beachvolleyball, der Starnacht oder dem GTI-Treffen. Viel Spiele weiterhin, aber immer weniger Brot.

"Das ist alles wirklich sehr bitter", klagt Emil Kristof vom Klagenfurter Universitätskulturzentrum Unikum, "in der Haider-Zeit waren wir auf Nulldiät gesetzt und hatten uns von der Regierung natürlich einen Aufbruch erwartet. Aber wir wurden schwer enttäuscht. 2016 soll es für uns noch schlimmer werden."

Gerhard Lehner, Chef des Klagenfurter Ensembles, musste vier Mitarbeiter kündigen. "Ein Skandal, dass jene, die jahrelang gegen Haider Widerstand geleistet haben, jetzt bestraft werden – und all der Kommerz dank langfristiger Verträge weiter lustige Urständ feiert."

"Es ist traurig und absurd, dass es uns jetzt schlechter geht als unter den Blauen."

Und auch Angelika Hödl von der Interessenvertretung der freien und zeitgenössischen Kulturinitiativen in Kärnten/Koroska (KIKK) zeigt sich desillusioniert: "Es ist traurig und absurd, dass es uns jetzt schlechter geht als unter den Blauen. Das alles folgt im Grunde derselben Finanz- und Politiklogik wie jetzt in Griechenland." Auch die erpresserische Art, wie Wien mit Kärnten umgesprungen sei und das Land zu diesem Sparkurs gezwungen habe, passe da ins Schema.

Gekürzt wird überall, bei den Schulen, von Beamten bis zum Tourismus. Ungeschoren bleibt auch der Gesundheitsbereich nicht. 2016 müssen 51 Millionen Euro eingespart werden, einen Teil muss die Kulturszene aufbringen. Rund 60 bis 70 Kulturinitiativen sind von Budgetkürzungen betroffen. "Für das Gros der Bevölkerung ist es wahrscheinlich kaum bemerkbar, da die Initiativen nur in der Szene bekannt sind, für die Entwicklung einer Gesellschaft sind sie aber ein wichtiger kultureller Humus. Da geht großes Potenzial verloren", warnt die in Kärnten lehrende Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle.

Kein Honig mehr

Landeshauptmann Peter Kaiser, ein studierter Soziologe, ist sich der Tragweite der Problematik natürlich bewusst. "Wir sind ohne Zweifel in einer extrem schwierigen Situation. Als der 343-Millionen-Euro-Kredit da war, haben natürlich alle geglaubt, jetzt fließen wieder Milch und Honig. Aber das gibt's nicht mehr. Wir haben keine andere Wahl und müssen alle Ausgaben überprüfen und schauen, ob sie Arbeitsplätze bringen, Innovationen und Wirtschaftsimpulse auslösen. Wir dürfen und werden natürlich keinen Kahlschlag machen." Aber genau das wird von der jungen Szene beklagt.

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"Wir sind ohne Zweifel in einer extrem schwierigen Situation", sagt Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Die Industriellenvereinigung Kärnten hat in diesem Zusammenhang kürzlich nachgerechnet, dass jeden Tag – statistisch gesehen – neun gut ausgebildete Kärntner Jugendliche das Land verlassen. Mehr als die Hälfte all jener, die in andere Bundesländer abwandern, verfügt über einen Hochschulabschluss.

Substanzverlust

Der Substanzverlust im Land ist auch augenscheinlich. "Es ist schon traurig, wenn man sieht, wie auch die Geschäfte in der Stadt zusperren und man überall leere Schaufenster sieht", sagt die Klagenfurter Buchhändlerin Sabine Tscharre, die vor einem Supermarkt mit ihrem Hund an der Leine wartet. Es sei schwer durchzukommen in diesen Tagen.

Schräg gegenüber dem Shoppingcenter ragt die monströse Stahl-Glas-Konstruktion des US-Architekten Thom Mayne für die einstige Hypo-Zentrale wie ein Geisterschiff aus dem Boden. Ein 250-Millionen-Mahnmal provinziellen Größenwahns, der ein Bundesland in den Ruin getrieben und ehemalige Topmanager und Politiker hinter Gitter gebracht hat.

"Das Bundesland Kärnten steht eigentlich hervorragend da"

Es gibt aber auch noch einen anderen, überraschenden Blickwinkel auf das Krisenland Kärnten. "Das Bundesland Kärnten steht eigentlich hervorragend da, weit besser als der österreichische Durchschnitt", sagt Gilbert Waldner, Sprecher der Kärntner Industriellenvereinigung. "Kärntens Industriebranche brummt", sagt Waldner, und das "gegen den Strom der Kärntner Image- und Finanzkrise", wie es Industriellenboss Christoph Kulterer formuliert. Auch jobmäßig kann Peter Wedenig von der Kärntner Arbeitsmarktverwaltung AMS nicht wirklich klagen. 2014 setzte erstmals seit Jahren eine Trendumkehr ein. Der Beschäftigtenstand habe sich nach den Minusjahren ins Positive gedreht.

Eine Bootsfahrt zum prächtigen Schlosshotel Velden am Wörthersee.
Foto: imago/Westend61

Die wirtschaftliche Erholung der Kärntner Ökonomie ist natürlich trügerisch, denn über allem hängen tief und drohend das Damoklesschwert der Heta und die Milliardenhaftungen des Landes. Niemand mag sich ausmalen, was passiert, wenn Kärnten tatsächlich in die Ziehung käme. Das Bundesland hat bei einem Budget von 2,1 Milliarden Euro Haftungen im Ausmaß von zehn Milliarden Euro ausstehen. "Für die Politiker ist es natürlich extrem lähmend – die Bevölkerung, so habe ich den Eindruck, will davon einfach nichts mehr hören", sagt Stainer-Hämmerle. "Niemand kann sich die Dimension vorstellen, was passiert, wenn das Land insolvent wird. Das ist jenseits aller Vorstellungskraft. Und deshalb blenden es viele einfach aus. Man interessiert sich jetzt halt mehr dafür, wie lange die Asylzelte in Krumpendorf stehen", sagt die Politologin.

Das Gespenst Haider

"Er war kein Schlechter und hat viel für Kärnten getan."

Die Finanzkrise lässt für viele zumindest einen klaren Schluss zu: "Erwischen tut's halt eh immer nur die Kleinen", sagt Pensionist Eckhard F., der mit seiner Gattin in der Nähe des Rathauses kurz Rast macht. Der Haider hätte wohl dem Wiener Spardiktat standgehalten und es irgendwie geschafft, glaubt Herr F. "Er war kein Schlechter und hat viel für Kärnten getan." "Und? Was haben wir jetzt?", fragt die Gattin. "Viele Ausländer. Des sagen nit nur wir, des sagen ganz, ganz viele Leut'."

Ein Mann mittleren Alters und im blauen Sakko, der in der Fuzo Richtung Lindwurm schlendert, tönt ähnlich wie das Rentnerpaar. "Allein hätte Haider die ganze Sache mit der Hypo sicher nicht machen können. Jetzt ihm allein alles in die Schuhe zu schieben ist wirklich falsch. Alle waren s' dabei." Man brauche ja nur schauen, welche Villen rund um die Kärntner Seen in den letzten Jahren entstanden seien und wer sich da plötzlich Grundstücke und Häuser habe leisten können.

"Wir haben Wohnraum für 1,3 Millionen Menschen in Kärnten bei einer abnehmenden Bevölkerung. Alles Zweitwohnsitze, Spekulationsobjekte, Appartements", sagt Landesrat Holub.

Zum numerischen Vergleich: Kärnten zählt gegenwärtig rund 550.000 Einwohner.

Kärntner Seele

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"Ein solcher Populist – wurscht, ob ein rechter oder linker – würde auch in Kärnten funktionieren."
Foto: APA/Schlager

Auch wenn sich oberflächlich politisch-klimatisch einiges zum Besseren gewendet hat – die Slowenen-Frage etwa ist aus dem politischen Diskurs weitgehend verschwunden –, bleibt Kärnten in der Seele "lei ans". "Wir haben ja, historisch bedingt, ein sehr nationales Lager in Kärnten. Das macht gut 50 Prozent aus. Und wir haben hier eine eigene Legende des Abwehrkampfes. Ein Reflex. Dieses Klavier konnte Haider gut bedienen", sagt Holub. Kärnten sei nach wie vor empfänglich für solche Melodien.

Haiders langjähriger Weggefährte Petzner meint: "Wenn ich Spin-Doktor wäre, würde ich bei der Auseinandersetzung Wien gegen Klagenfurt genau diese Karten ausspielen: Wir armen Kärntner – und die Wiener hungern uns aus. Nach dem ähnlichen Muster läuft es auch in Griechenland. Ein Haider hätte in diese Richtung voll aufgegeigt. Wenn man jetzt den Alexis Tsipras anschaut: Ein solcher Populist – wurscht, ob ein rechter oder linker – würde auch in Kärnten funktionieren. Es ist nur keiner in Sicht, schon gar nicht bei den Blauen."

Die FPÖ sei, da stimmt Politologin Stainer-Hämmerle zu, zwar in einem "katastrophalen Zustand" und verfüge zurzeit über keine charismatische Führungspersönlichkeit mehr. Das könne sich aber ändern. Stainer-Hämmerle verweist auf den blauen Bodensatz: "Man darf das freiheitliche Lager in Kärnten nie unterschätzen." (Walter Müller, 19.7.2015)