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Während Ministerpräsident Shinzo Abe der Abstimmung im Unterhaus beiwohnte, forderten Demonstranten am Donnerstag vor dem Parlament seinen Rücktritt.


APA/EPA/FRANCK ROBICHON

Am Donnerstag, dem 16. Juli, verabschiedete das japanische Unterhaus die heftig umstrittenen Gesetze zum erweiterten Einsatz der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte. Dem war am Mittwoch ein Votum im Ausschuss für Frieden und Sicherheit vorausgegangen. Beide Abstimmungen gewann die Regierungskoalition aus LDP (Liberaldemokratische Partei) und der Komeito-Partei. Vor allem bei der Abstimmung am Mittwoch kam es dabei zu dramatischen Szenen, als Abgeordnete der Opposition den Ausschussvorsitzenden Yazukazu Hamada umringten, um ihn an der Fortführung der Sitzung und später an der Durchführung der Abstimmung zu hindern.

Wochenlange Proteste

Die Beratung der Gesetze im Diet, dem japanischen Parlament, wird seit Wochen von Protesten vor dem Gebäude begleitet. Am Donnerstag versammelten sich trotz Regens etwa 60.000 bis 100.000 Protestierende im Regierungsviertel. Heftiger Gegenwind kam auch von den Hochschullehrern, von denen nahezu 10.000 eine Petition unterzeichnet hatten, in der die Gesetze als Verfassungsbruch bezeichnet werden.

Besonders ins Gewicht fällt dabei der Widerstand von Verfassungsrechtlern, von denen 90 Prozent das Gesetz als verfassungswidrig bezeichnen. Bei einer Anhörung in einem Parlamentsausschuss hinsichtlich Verfassungsfragen war ausgerechnet der von der LDP eingeladene Jurist Yasuo Haseba mit dem Gesetzesentwurf hart ins Gericht gegangen. Mit dieser Art von Gesetzen werde die Verfassung entwertet, weil man in Zukunft per Gesetzgebungsverfahren im Prinzip jeden Verfassungsparagrafen auf dem Wege der Neuinterpretation abändern könne.

Die Gesetze werden von 65 Prozent der Bevölkerung abgelehnt. Die Popularität der Regierung Abe hat unter der Debatte stark gelitten und fiel in einer Umfrage erstmals unter 40 Prozent. Ebenfalls erstmals ist die Zahl derjenigen, die die Regierung insgesamt negativ beurteilen größer als die Zahl derer, die ihr positiv gegenüberstehen.

Selbstverteidigung erlaubt

Die Reform gilt als Neuinterpretation von Artikel 9 der pazifistischen japanischen Nachkriegsverfassung. Dieser verbietet den Einsatz von Gewalt, Ausnahme ist nur Selbstverteidigung bei einem direkten Angriff auf Japan. In Zukunft soll nun die logistische Unterstützung verbündeter, vor allem amerikanischer Truppen erlaubt werden. Kampfeinsätze außerhalb des Staatsgebietes sollen hingegen nicht erlaubt sein, außer wenn das Überleben Japans gefährdet ist. Was aber letztlich eine Gefahr für das Überleben Japans darstellt, ist eine Definitionsfrage. Die Regierung versteht darunter zum Beispiel die Gefährdung der japanischen Energieversorgung mit Öl und Gas aus dem Nahen Osten. Grauzonen gibt es viele, Hinweise zur Interpretation liefert die Regierung nicht.

Nach der Verabschiedung der Gesetze im Unterhaus wird das Gesetzespaket im Oberhaus beraten. Dort ist die Mehrheit der Koalition kleiner als im Unterhaus, wo die Koalition über eine Zweidrittelmehrheit verfügt. Und da im nächsten Jahr Oberhauswahlen geplant sind, fürchtet mancher LDP-Abgeordnete um seine Wiederwahl, sollte er den Gesetzen zustimmen. Bei einer Ablehnung im Oberhaus kann aber das Unterhaus in einer zweiten Abstimmung mit seiner Zweidrittelmehrheit die Gesetze doch rechtskräftig werden lassen. Da der Premierminister die Reform unbedingt in dieser Tagungsperiode durchs Parlament bringen will, hat er die Sitzungszeit bis 24. September verlängert, ein einmaliger Akt in Japans Nachkriegsgeschichte. (Siegfried Knittel aus Tokio, 17.7.2015)