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Beim WM-Spiel England gegen Norwegen im Juni 2015 äußerte die englische Torfrau Karen Bardsley mutmaßlich Laute in einer Modulationsfrequenz zwischen 30 und 150 Hertz (Hz) – mit einer spezifischen Wirkung auf das menschliche Gehirn.

Foto: AP/Adrian Wyld

Frankfurt/Genf/New York – Im Gegensatz zum normalen Sprechen versetzen Schreie Menschen in sofortige Alarmbereitschaft. Auch viele Säugetiere kommunizieren effizient über spezifische Lautäußerungen, die als Schreie interpretiert werden können. Bisher war jedoch nicht bekannt, was Schreie zu solch einzigartigen Signalen macht und wie sie im Gehirn verarbeitet werden.

Forscher vom Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik, der New York University und der Universität Genf haben nun herausgefunden, dass Schreie eine eigene akustische Nische besetzen, die sie von allen anderen Lauten unterscheidet. Sie können wie andere Laute hoch und laut sein, haben aber zudem eine einzigartige Modulation, die andere Laute nicht aufweisen.

Veränderte Zeitstruktur

"Schreie haben ein Merkmal, das als Rauigkeit bezeichnet wird. Rauigkeit entsteht, wenn Geräusche eine zeitliche Struktur durch Änderung der Amplitude oder der Frequenz erhalten", sagt David Poeppel, Direktor am MPI in Frankfurt und Professor für Psychologie und Neurowissenschaften an der New York University. "Wenn diese Änderungen sehr schnell erfolgen, ist das Gehör nicht mehr in der Lage, diese zeitlichen Veränderungen aufzulösen – man empfindet ein solches Geräusch dann als rau und damit als unangenehm."

Die Modulationsfrequenz von Schreien liegt zwischen 30 und 150 Hertz (Hz), die von normaler Sprache bei etwa 4 bis 5 Hz, wie die Forscher um Poeppel im Fachjournal "Current Biology" berichten. Um mehr über die Reaktion des Gehirns darauf herausfinden, untersuchten sie mittels funktioneller Magnetresonanztomografie die Gehirne von Probanden, während diese unterschiedliche Laute und Klänge hörten.

Aktiviertes Angstzentrum

Während normale Töne in erster Linie im Hörzentrum des Gehirns verarbeitet werden, erhöhen die "rauen" Laute zusätzlich die Aktivität der Amygdala, eine Region im Gehirn, die unter anderem für die Verarbeitung und die Erinnerung von Angst zuständig ist. In den Experimenten konnten die Testpersonen Geräusche zwischen 30 und 150 Hz im Raum leichter und viel schneller orten, als Laute in anderen Frequenzen. "Das zeigt, dass Schreie es ermöglichen, sehr viel schneller und besser auf Gefahren zu reagieren", so Poeppel.

Die Forscher untersuchten neben natürlichen Geräuschen auch künstliche Töne. Es zeigte sich, dass Klänge von Alarmsystemen, die auf Gefahren hinweisen, den gleichen Frequenzbereich wie Schreie umfassen. Bei ebenfalls getesteten Musikinstrumenten war dies nicht der Fall.

Praktische Anwendungen

Diese Erkenntnis könnte praktische Implikationen haben: Viele Menschen fühlten sich überfordert von den vielen künstlichen Lärmquellen im Alltag und reagierten aggressiv darauf, so die Forscher. Das bessere Verständnis, wie das Gehirn auf "raue" Töne reagiert, könnte helfen, die akustische Umwelt zu verbessern.

So könnten Klangdesigner auf solche Frequenzen verzichten, wenn künstlich geschaffene Signaltöne keine Gefahr anzeigen sollen. Im Gegensatz dazu könnten Elektroautos, die sehr leise sind und deshalb eine Gefahr für Fußgänger darstellen, mit künstlichen Alarmsignalen in der richtigen Frequenz ausgestattet werden. (APA, red, 16.7.2015)