Patti Smith spielte in der Wiener Arena ihr Album "Horses" – und das Publikum am ausverkauften Areal der Arena war beglückt.

Foto: Corn
Heribert Corn
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Foto: Heribert Corn
Foto: Heribert Corn

Wien – Kaum war es zu Ende, kam der Regen. Wie beim Special-Effect-Büro bestellt. Fasst schon kitschig. Davor beschwor sie noch die Toten in "Elegie". So heißt das finale Lied des Debütalbums "Horses" von Patti Smith. Erschienen war es im Jahr 1975, heute, 40 Jahre später, tourt die 68-jährige US-Amerikanerin damit durch die Welt und führt dieses, wie es bei wichtigen Werken Mode geworden ist, in seiner Gesamtheit auf. Von vorn bis hinten.

Das getragene, ohne Schlagzeug gespielte "Elegie" beschloss am Dienstagabend auf dem ausverkauften Open-Air-Gelände der Wiener Arena den Hauptteil, die restlichen Lieder des Abends waren quasi Zugabe, dem Umstand geschuldet, dass so eine Langspielplatte eben selten über 40 Minuten lang dauert, und das ist für ein Konzert doch etwas knapp bemessen.

Passenderweise spielte Smith zur Begrüßung des Himmelswassers "Ghost Dance", in dem sie vom Manna singt, das vom Himmel fällt. Und zum Glück verflüchtigte sich der Schauer gleich wieder.

Nüchternes Schwarz-Weiß

Wer sich ernsthaft für Rockmusik interessiert, kommt irgendwann bei "Horses" vorbei. Es zählt zum Kanon der einflussreichen Alben aus den 1970er-Jahren. Das ist im Falle von "Horses" insofern interessant, als es seiner Machart nach eher ein Underdog war und ist. Aber das macht es aus: Von John Cale rustikal produziert, gilt es als eines der ersten Lebenszeichen des New Yorker Punk. Dabei entspricht es formal nicht dessen eher schlichten Auflagen, vom Spirit her aber sehr wohl.

Es besitzt eine intellektuelle Widerborstigkeit, die die relativ konventionelle Rockmusik von "Horses" veredelt. Perfid und in ihrer Ausführung so roh belassen, dass Punk sich damit identifizieren konnte. Bereits das von Robert Mapplethorpe fotografierte Porträt der Sängerin war anders als die damals üblichen Inszenierungen von Frauen im Musikbusiness. In nüchternem Schwarz-Weiß zeigt es Smith in weißer Bluse, schwarzer Hose und schwarzer Jacke, die sie über die linke Schulter hängen lässt. So lehnt sie an einer weißen Wand und blickt mit leicht angehobenem Kinn in die Linse.

Silbergrau und jung

Ein Klassiker, wenngleich Smith sagt, die vermeintliche Inszenierung sei Zufall gewesen, sie wollte nur nicht so wirken wie Frauen auf den damals üblichen Promotionfotos der Plattenfirmen. Ihre Texte waren schon kein Zufall mehr. Diese nährten sich bei Literatur der Beatpoeten oder bei Arthur Rimbaud oder Jim Morrison, den Smith mit dem Song "Land" würdigte.

Die anhaltende Anziehungskraft der acht Songs von "Horses" verdeutlichte ein Publikum, in dem zwar silbergraues Haar überdurchschnittlich präsent war, aber auch viele junge Menschen wollten diese Aufführung miterleben.

Lässig schunkeln

Smith eröffnete also mit "Gloria", hatte sich bald warm und vor allem in Laune gespielt, tänzelte mit der ihr eigenen, von der New Yorker Straße geschliffenen Lässigkeit durch das immer knapp am Reggae vorbeischunkelnde "Redondo Beach" und deklamierte sich im zehnminütigen "Birdland" in Rage.

Smith überschütte die Arena mit Lob und tobte durch den Traum von "Free Money". Dem Song "Kimberly" taten der fette Beat und die ebenso fett aufgetragene Orgel gut. Sie verliehen ihm jenen Groove, in den Smith vorher die virtuelle Plattenarmnadel setzte, als sie dem Publikum veranschaulichte, dass sie das Album nun wenden würde, die zweite Seite hat begonnen. Smith lächelte breit, zeigte ihre Kinderzähne, umrahmt vom herbstlichen Grau ihrer Haare, und mein Gott, wie sie tanzte! Herrlich.

Es kam, wie es kommen musste, nur besser als erwartet. Die Trilogie "Land", die halb Erzählung, halb Song ist, schien gar nicht mehr zu enden und war dennoch nicht zu lang, und schließlich ertönte "Elegie". In diesem Abgesang rief Smith die Geister verstorbener Wegbegleiter an, von den Ramones zu Lou Reed, von ihrem 1994 gestorbenem Mann Fred "Sonic" Smith zu ihrer früheren großen Liebe Robert Mapplethorpe. Wehmut, Demut, Glorie.

Wäre es hier zu Ende gewesen, es hätte auch gepasst. Aber Smith war in Geberlaune, also durchmaß sie im Zugabenblock noch die lebensrettende Hymne "Rock 'n' Roll" von The Velvet Underground sowie deren "White Light / White Heat". Sie erinnerte an "People Have The Power" und endete mit "My Generation" von The Who. Eine große Frau, ein großer Auftritt. (Karl Fluch, 15.7.2015)