In aller Kürze. Eine Bitte. Und zwar auf die Gefahr hin, meine eigene Verspießerung zu demonstrieren. Wurscht. Denn Unrecht hatte Wilhelm Busch nicht, als er schrieb, dass Musik "als störend oft empfunden" werde, "dieweil sie mit Geräusch verbunden" ist: Der gute Mann schrieb das lange vor der Erfindung von Kopfhörern. Also Ewigkeiten vor Walkman, MP3-Player und Co: Wäre zu Buschs Zeiten jemand mit Musik laufen gegangen, hätte er eine Marschmusik-Kapelle an der Seite gebraucht. Die hätte dem musikaffinen Jogger bald was gepfiffen. Oder getrommelt. Wenn auch nicht lang.

Frechheit siegt: Beim Vienna City Marathon 2014 liefen mir diese beiden Gesellen mit Ghettoblaster über den Weg.

Zu Onkel Wilhelms Lebzeiten gab es keine Ghettoblaster. Keine Transistorradios: Mangels (transportabel) konservierter oder übertragbarer Musik wäre derlei Gerätschaft schlicht grotesk nutzlos gewesen.

Busch starb 1908. Das erste Transistorradio wurde 1953 auf der Berliner Funkausstellung präsentiert. Ein Jahr später kam Texas Instruments damit auf den US-Markt – und beanspruchte den Erfinder-Meilenstein für sich. Damit war Musik mobil. (Der "Walkman" kam 1979. Aber schon zwei Jahre vor Sonys "TPS-L2" hatte ein Deutscher ein Patent für eine ""körpergebundene Kleinanlage für hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen" angemeldet. Sony erkannte das erst um 2004 endlich an.)

Foto: Thomas Rottenberg

Aber wer einen (Halb-)Marathon so "crasht", der ist so neben der Spur, dass es schon wieder ok ist." Außerdem glaube ich, dass die beiden Buben ohnehin nur ein paar hundert Meter mitgelaufen sind."

In meiner Kindheit und Jugend (also als es noch Vierteltelephone und Sendeschluss gab), war derjenige ein cooler Lölly, der auf seinem Highriser-Rad neben Dreigangschalthebel und Fuchsschwanz auch ein Radio montiert hatte. Oder – noch besser – einen Mobo-Kassettenrekorder. Am allercoolsten war es natürlich, den Nachbarsbuben die Dinger abzunehmen. Gemeindebau-Eltern standen damals oft auf dem Standpunkt, dass Überpädagogisierung wenig Sinne mache – und sich die Jungs derlei ruhig untereinander ausmachen sollten. Bis zu gewissen Grenzen halt.

Die Highriser gingen – und die Altherren-Radler tauchten auf: Mit kleinen Lenker-Radios gurkten sie durch den "Bau". Und beschallten knarzend und rauschend Alles und Jeden mit dem, was das Wunschkonzert von Radio Niederösterreich zu bieten hatte. Musik und Klang waren zwar grottig – aber die Plastikkisterln trugen den Geräuschteppich nicht weit. Die alten Herren mit ihren Radio-Rädern gibt es immer noch. Sie fallen unter Folklore.

Später – zu Beginn der 80er – kamen dann Ghettoblaster. Aber nicht weit: Die Trümmer waren zu schwer und brauchten zu viele Batterien, um sich an der frischen Luft wirklich durchzusetzen. Außerdem drängten ohnehin schon Walkman & Co auf den Markt: Die heute grotesk groß anmutenden Kassettengeräte gehörten zum fixen Bild jedes "Jogger"-Fotos der New-Wave-Epoche. Und niemand wurde mit oder durch das behelligt, was vom Band ans Ohr kam. Gut so.

Foto: Thomas Rottenberg

Bild nicht mehr verfügbar.

Mit den Jahrzehnten wurden die Geräte kleiner, kompakter und ausdauernder. Der Sound wurde besser. Und die Kopfhörer wanderten ins Ohr. Auch gut so.

Doch dann kam das Smartphone. Irgendwann hatten die Dinger kleine, aber potente Lautsprecher eingebaut. Seither versorgen vornehmlich Jugendliche mit Plattenbau-Lingo ihre Umwelt mit vornehmlich unerträglichem Schall-Müll. Am liebsten in öffentlichen Verkehrsmitteln. Oder Orten, an denen man ihnen nicht entkommt. Mühsam – aber was soll’s.

Und jetzt komme ich – endlich – zum Punkt: In letzter Zeit treffe ich immer wieder auf Läufer (selten auch auf -innen), die auf Headphones pfeifen – und sich in einer Blase aus Getöse fortbewegen. Ganz unabhängig davon, ob das, was da aus an Oberarmen, am Gürtel oder in der Hand getragenen Smartphones kommt, mein Lieblings- oder Horrorsound ist: DAS GEHT GAR NICHT. Wirklich nicht. Nicht in der Stadt, nicht im Park, auf der Insel oder der Hauptallee. Nicht in Schönbrunn. Und falls es einen Superlativ von "nicht" gibt, gehört er hierher: Am nichtesten im Wald. Echt nicht.

Bitte. Danke. Und aus. (Thomas Rottenberg, 16.7.2015)

Foto: APA/EPA/Patrick Pleul