Deutschland darf nicht durchsetzen, dass die griechische Regierung für Unsummen an neuen Krediten de facto unter Kuratel gestellt wird. Deutschland darf nicht gemeinsam mit den Niederlanden, Belgien, Finnland, Österreich, Spanien, Portugal, der Slowakei, Slowenien und den Baltenstaaten (und das sind nur die, die sich gemeldet haben) Griechenland vor dem Bankrott retten und dafür als Gegenleistung ein rationales und vertragstreues Verhalten von der griechischen Regierung verlangen.

Wenn es das tut, kriegt es eine Schlagzeile in einer griechischen Zeitung: Deutschland kehrt zu Auschwitz zurück. Der US-Nobelpreisträger Paul Krugman greift den Twittereintrag "Das ist ein Putsch" zustimmend auf. Die Eurogruppe mit Deutschland als treibender Kraft wolle die griechische Wirtschaft zerstören. Aus "reiner Rachsucht" und als Disziplinierungsmittel für alle, die aus der Reihe tanzen.

Deutschland ist wieder ein Objekt von Furcht und Hass, zumindest für eine breite Allianz von linken und rechten Europafeinden, ebenso wie von wohlmeinenden Linken und Liberalen. Berlin hatte längst de facto eine Führungsrolle in der EU übernommen, wegen seiner wirtschaftlichen Stärke, wegen der Schwäche bzw. Absenz der anderen (Frankreich und Großbritannien), weil sich die USA unter Obama nicht mehr sehr für Europa interessierten – und weil die Deutschen selbst nicht mehr unter Naziverdacht stünden (außen bei ein paar Hysterikern).

Das ist jetzt anders. Und spätestens seit Deutschland in jener 17-stündigen Verhandlung ein Programm durchgedrückt hat, das kein reines Sparprogramm mehr ist, sondern auch der Versuch, Griechenland zu animieren, ein funktionierender Staat zu werden. Einer der Punkte lautet zum Beispiel: "Entpolitisierung des statistischen Amtes in Athen". Übersetzung: Wir wollen keine gefälschten Zahlen mehr sehen.

Die Forderung an sich ist richtig (ebenso wie jene nach einer Sanierung der griechischen Justiz und Steuerverwaltung). Aber sie ist selbstverständlich ein massiver Eingriff in die griechische Staatsführung. Das Problem dabei ist, dass diese Feinsteuerung von außen wohl nicht funktionieren wird, aber Deutschland dabei zwangsläufig als unnachgiebiger Hegemon dasteht.

Die deutsche Führung, besonders Schäuble, hat sich das teilweise selbst zuzuschreiben. Aber andersherum wird auch ein Schuh draus: Wo wäre Europa in der Bekämpfung der Krise, in der Auseinandersetzung mit einem aggressiven Putin und auch in der Aufnahme von Flüchtlingen ohne Deutschland? England unter Cameron hat sich verabschiedet, Frankreich unter Hollande ist schwach. Beide – und die anderen – werden gebraucht, aber ohne Deutschland findet europäische Politik einfach nicht statt.

Die entscheidende Frage ist: Liegt ein Machtmissbrauch Deutschlands vor? Wer Wert auf intellektuelle Ehrlichkeit legt, muss mit Nein antworten. Allerdings doch mit einem "Nein, aber". Man kann auf Grundlage genauerer Kenntnis des griechischen Staatsversagens durchaus der Meinung sein, die Eurogruppe unter Deutschland habe so hart handeln müssen. Man kann oder muss aber auch sagen, dieses Vorgehen sei hart an der Grenze.

Die letzten Jahrzehnte haben mehr als deutlich gezeigt, dass Deutschland und deutsche Führungspersönlichkeiten, gleich welcher Couleur, das rechte Maß im Umgang mit der deutschen Stärke eingehalten haben.

Jetzt tauchen da gewisse Unsicherheiten auf. Angela Merkel sollte rasch vertrauensbildende Maßnahmen setzen. (Hans Rauscher, 14.7.2015)