Dass die iranische Bevölkerung weit weniger antisemitisch und antiamerikanisch eingestellt ist als das Regime, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt ist, dass selbst in hohen und höchsten Politikkreisen in der Islamischen Republik Iran die Feindschaft gegen die USA und Israel nicht in Stein gemeißelt ist, sondern sich hinter der antiamerikanischen Fassade einiges tut. Revolutionsführer Seyyed Ali Khamenei hat in Reaktion auf die Neujahrsbotschaft des amerikanischen Präsidenten Barack H. Obama im März 2011 selbst die Frage der Beziehungen zu den USA entideologisiert: Sie würden von nun an ausschließlich von den nationalen Interessen Irans abhängen.

Wenn sein alter Freund und Konkurrent Ali Akbar Rafsanjani dieser Tage von der Wiedereröffnung der amerikanischen Botschaft spricht, war das kein Tabubruch mehr, sondern würde in das Bild einer vom Revolutionsführer abgesegneten schrittweisen Deradikalisierung des Regimes passen. Damit stellt sich die Frage, wer jene Extremisten sind, die jede Mäßigung des Regimes als Verrat an den Werten der Revolution und des Islam sehen.

In der Regel wird von Extremisten oder radikalen Gruppen gesprochen, die, so heißt es, ohnehin in der Minderzahl wären. Das stimmt zwar, doch ist die weitgehend unorganisierte Hezbollah-Bewegung im Iran die einflussreichste politische Bewegung des Landes, der es in bisher gelang, jede Normalisierung der politischen Verhältnisse im Lande selbst und im Verhältnis Teherans zur internationalen Gemeinschaft zu verhindern.

Proletarische Tradition

Diese radikalen Gruppen setzen die Tradition des politisierten Lumpenproletariats ("luti") vom Anfang des 20. Jahrhunderts und der in den 1940er- und 1950er-Jahren aktiven Terrororganisation Fedayan-e Eslam fort. Am Anfang der Revolution waren sie der Schrecken der iranischen Bevölkerung. Ihre Willkür ging gelegentlich selbst den Klerikern zu weit, doch zur eigentlichen Machtprobe kam es kriegsbedingt nie, vielmehr waren Klerus und Regierung mit ihrem Kampf gegen liberale und linke Kräfte im Lande einverstanden, denn vor dem Hintergrund der Brutalität der Hezbollahis wirkt selbst das Regime moderat.

Vier Jahre nach Ende des Kriegs mit dem Irak 1992, als die Revolutionskomitees aufgelöst und die Revolutionsgarden neu strukturiert wurden, formierte sich Ansar-e Hezbollah, die wichtigste und einzig landesweite Hezbollah-Organisation Irans. Sie rekrutierte ihre Mitglieder aus den Reihen der Kriegsveteranen und war mit Teilen des iranischen Sicherheitsapparates verzahnt; einer ihrer Anführer, Hossein Allah-Karam war Brigadier bei den Revolutionsgarden.

Nach der als zu liberal empfundenen Regierung Rafsanjani konzentrierte sich ihr Hass auf Seyyed Mohammad Khatami und seine Regierung. Bei den Studentenunruhen von 1999 waren sie für die Opfer der Gewalt verantwortlich, zehn Jahre später spielten sie eine ähnliche Rolle in der Niederschlagung der Proteste gegen die umstrittene Wiederwahl Mahmud Ahmadi-Nejads.

Antiimperialismus

Der Kampf gegen Israel und die USA nimmt eine zentrale Rolle in ihrem ideologischen Universum ein. Dabei können sie sich auf die iranische Verfassung berufen, die den Antiimperialismus als Prinzip für die iranische Außenpolitik festschreibt. Wenn eine Regierung von ihnen Entgegenkommen in der Außenpolitik will, muss sie gleichzeitig in der Innenpolitik nachgeben.

Konkret heißt das, zu akzeptieren, dass die Hezbollahis in ihrem Tun, die islamischen Gesetze der Gesellschaft aufzuzwingen, selbstständig und von der Polizei unbehindert vorgehen können. Seit 2014 nehmen die Spannungen zwischen Regierung und Hezbollahis stetig zu. Bizarrer Höhepunkt bisher war das Konzertverbot für genehmigte (!) Konzerte, da Musik aus islamischer Sicht Sünde sei.

Präsident Hassan Rohani hat in seiner damaligen Funktion als Sekretär des Hohen Nationalen Sicherheitsrates schon mehrere Sträuße ausgefochten, eine Macht- und Zerreißprobe bisher jedoch vermieden. Ihm ist natürlich bewusst, dass Ansar-e Hezbollah und ähnliche Gruppe große Sympathien im Sicherheitsapparat des Landes, vor allem in den Reihen des Nachrichtendienstes der Revolutionsgarden, genießt. Er braucht also mehr als nur die Unterstützung der Bevölkerung, wenn er die Macht dieser Extremisten einhegen oder sie gar ausschalten will.

Revolutionäres Chaos

Vor allem muss er die Mittel haben, die wirtschaftlichen Interessen jenes Teils des Sicherheitsapparates sicherzustellen, der bisher seine schützende Hand über diese Gruppen hielt, was ohne wirtschaftliche Normalisierung und mithin Aufhebung der Sanktionen nicht möglich ist.

So gesehen haben Ansar und andere Extremisten durchaus recht, wenn sie die Nuklearverhandlungen als Beginn der Normalisierung mit den USA und diese wiederum als Anfang vom Ende ihres Einflusses sehen. Dass eine positive Wirtschaftsentwicklung sich direkt mäßigend auf Irans Extremisten auswirken wird, glaubt hingegen niemand. Denn für diese Gruppen gehört revolutionäres Chaos zu ihrer politischen Identität, sie sind einfach unverbesserlich. (Walter Posch, 13.7.2015)