Wenn der Politikwissenschafter Ulrich Willems im STANDARD-Interview von letzter Woche jenen Menschen, die sich von öffentlicher Religionsausübung irritiert fühlen, einen "säkularen Fundamentalismus" unterstellt, so negiert er das legitime Recht auf eine weltanschaulich-religiöse Neutralität, die der demokratische Staat seinen Bürgern schuldet.

Natürlich wissen wir, dass die Trennung von Kirchen und Staat, die in der österreichischen Verfassung vorgesehen ist, in Wahrheit bei weitem (noch) nicht eingelöst wird. Unserem Land fehlt die klare Neutralität in Bezug auf Religion – als gesunde Voraussetzung für eine wahrhaftigere Demokratie.

In dieser verhängnisvollen Tradition blendet Willems aus, dass die kritische Debatte über eine betont religiöse Bekleidungsvorschrift für Frauen wie das Tragen von Burka und Kopftuch durchaus ihre Berechtigung hat. Denn sie beruht auf einem legitimen Anspruch: der Erhaltung einer in säkularen Kreisen mühsam errungenen, jedoch von fast allen Konfessionen immer noch nicht respektierten Gleichstellung von Mann und Frau.

Kein Recht zu gehorchen

Natürlich sollte jeder Mensch das Recht haben, seinen spirituellen Weg unabhängig und eigenverantwortlich zu suchen. Aber, wie alle gesellschaftspolitischen und psychologischen Erfahrungen zeigen:

Wer die Verantwortung für sein Seelenheil einer religiösen Führerschaft überlässt, wird in der Regel missbraucht. Religiöse Indoktrination führt nicht selten zu psychischen Erkrankungen und oft zu gesellschaftlich-sozialen und politischen Konflikten.

Erich Fromm wies bereits auf die Tragödie aller großen Religionen hin, die ihre eigenen Prinzipien der Freiheit verletzen, sobald sie zu Institutionen geworden sind.

Deshalb entspricht das erstaunlich kaltschnäuzige Argument von Ulrich Willems, dass religiöse Vorschriften anderer die eigene Freiheit wohl kaum einschränken und deren Ablehnung eher "Ausdruck einer Unduldsamkeit" sei, der altbekannten eigennützigen Strategie, mit der die Kirchen bisher ihre Machtansprüche zu schützen und sich alle Geldflüsse zu sichern wussten, die der Staat gewährte.

In Österreich gibt es mittlerweile sechzehn anerkannte Religionsgemeinschaften, die zur Ausübung und Verbreitung ihrer fragwürdigen Lehren – welche einander und oft sogar den Menschenrechten widersprechen – hohe finanzielle Ansprüche stellen und die Steuerzahler mit Unsummen belasten. Auch sämtliche von den Konfessionen geführten Schulen, Krankenhäuser, Kindergärten etc. werden nicht etwa aus den kirchlichen Einnahmen, sondern vollständig aus Steuergeldern finanziert.

Religiösen Menschen ist zumutbar, dass sie die Verantwortung für ihren jeweiligen Glauben selbst übernehmen, anstatt sich einer säkularen Gesellschaft gegenüber parasitär zu verhalten.

Glaube und Weltanschauung gehörten daher – wie in vielen anderen aufgeklärten Ländern – in den privaten Bereich.

Grenzen der Religionsfreiheit

Menschen, die aus einem anderen Kulturkreis zu uns kommen und freundlich aufgenommen werden wollen, sollten nicht gleich schon das Recht auf eine unübersehbare, die einheimischen Bürger belästigende Ausübung ihrer religiösen Überzeugungen fordern.

Es ist für viele westeuropäische Frauen einfach ärgerlich, auf Schritt und Tritt mit den rückständigen, von Männern für Frauen erfundenen religiösen Ritualen konfrontiert zu sein. Und für viele sind verschleierte muslimische Frauen, die in Talkshows von ihrer Freiwilligkeit schwärmen, einfach unerträglich.

Wir können es uns nicht leisten und auch nicht verantworten, die Auseinandersetzung um dieses Thema einer nationalistischen, niederträchtig agierenden Truppe zu überlassen, die das diffuse Unbehagen, das frömmelnde Leute verursachen, für ihre politischen Ziele missbraucht.

Deshalb möchte ich mir – frei nach John Lennon in seinem Song Imagine – lieber vorstellen: "Imagine there's no heaven ... nothing to kill or die for ... no hell below us and no religion too ..." oder dem Dalai Lama zustimmen, der im Gespräch mit Franz Alt kürzlich sagte: "Ich denke an manchen Tagen, dass es besser wäre, wenn wir gar keine Religionen mehr hätten." (Leo Prothmann, 8.7.2015)