Als vor Jahren der Schwangerschaftsabbruch in Österreich legalisiert wurde, ging die katholische Kirche, voran der damalige Kardinal König, protestierend auf die Straße. Man verteidigte den "Schutz der Ungeborenen". So weit, so (für manche) gut. Aber wie steht es um den Schutz der Geborenen? Wo ist der Protest der Kirchen gegen unseren beschämenden Umgang mit den Flüchtlingen? Und wo ist deren Einsatz, wenn es darum geht, obdachlosen Menschen Quartiere zur Verfügung zu stellen?

Nicht, dass es solche Beispiele nicht gibt. Der Wiener Kardinal Schönborn hat in diesem Sinne an die Katholiken appelliert und auch selber Flüchtlinge aufgenommen. Es gibt quer durch Österreich viele Pfarren und Ordensgemeinschaften, die ihre Türen für Neuankömmlinge weit aufgemacht haben. Und Caritas und Diakonie stehen an vorderster Front in der Flüchtlingsarbeit, unterstützt von tausenden Freiwilligen mit und ohne Taufschein. Aber reicht das? Auf die große Kampagne wie damals in Sachen Abtreibung wartet man bisher vergebens. Und viel zu viele Klöster und kirchliche Gebäude verfügen nach wie vor über viel zu viele leerstehende Räumlichkeiten.

Die große Kampagne: Das wäre ein Aufruf der Bischofskonferenz. Das wären Hirtenbriefe, in allen Kirchen am Sonntag verlesen, die den Kirchgängern sagten, was im Jahr 2015 Christenpflicht wäre. Dass man Fremde aufnehmen soll, steht im Alten wie im Neuen Testament mit unanfechtbarer Deutlichkeit. Aber es scheint, als sonnte sich die Kirchenleitung lieber in der Beliebtheit von Papst Franziskus, der für seine erste Reise bekanntlich die Flüchtlingsinsel Lampedusa als Ziel wählte, und verlässt sich im Übrigen auf die Caritas. "Der Landau macht das schon" ist offenbar das Motto.

Jeder weiß, dass Österreich nicht die Welt retten und das Flüchtlingsproblem ein für alle Mal lösen kann. Und niemand verlangt von einzelnen Bürgern heroische Opfer. Niemand erwartet, dass Herr und Frau Österreicher in ihrer Dreizimmerwohnung fremde Leute aufnehmen. Aber ein wenig Geld spenden? Sachen bringen, die die Mittellosen brauchen können? Kindern und Jugendlichen bei den Hausaufgaben helfen und sie vielleicht einmal auf einen Ausflug mitnehmen? Und als Nachbar von Flüchtlingen und Asylwerbern den Neuen zeigen, dass man sie zunächst einmal als Mitmenschen wahrnimmt und nicht als Eindringlinge und potenzielle Verbrecher? Ist das alles wirklich unzumutbar?

Unzumutbar sind Sager wie der Rat der FPÖ-Abgeordneten Dagmar Belakowitsch-Jenewein, unerwünschte Flüchtlinge mit Militärmaschinen abzuschieben, "da können sie schreien, so viel sie wollen". Und, Copyright H.-C. Strache, "da können sie sich anurinieren". Das ist unverhohlene Nazisprache, und man fragt sich, warum so etwas konsequenzlos hingenommen wird.

Es gibt nicht viele Autoritäten in Österreich, auf die die Leute hören. Der Bundespräsident hat wenigstens in einem Radio-Interview erklärt, dass Zelte für Flüchtlinge gar nicht gehen. Eine programmatische Rede à la Joachim Gauck vonseiten seines österreichischen Amtskollegen wäre freilich nicht verkehrt. Auch das Wort der Kirchenführer hat hierzulande nur begrenzte Wirkung. Aber notwendig ist es dennoch. Es wäre höchste Zeit. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 8.7.2015)