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Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und ihr serbisches Gegenüber Aleksandar Vučić. Ihre Balkan-Reise wird Merkel zuerst nach Belgrad führen, am Donnerstag wird sie in Sarajevo erwartet.

Foto: EPA/GUIDO BERGMANN

Die Regierung hat die Fristen versäumt, die die Geldgeber gesetzt hatten. Der Kredit kann nun nicht ausgezahlt werden, es droht die Staatspleite. Der Ball liege jetzt ganz bei der Regierung, sagen die EU-Kommission und Deutschland. Nein, wir sprechen nicht von Griechenland, sondern von Bosnien-Herzegowina. Der kleine Staat ist wie viele andere auf dem Balkan auf die Kredite internationaler Geldgeber angewiesen, andernfalls können Pensionen und soziale Transferleistungen nicht ausgezahlt werden. In einem Land, wo viele von der Hand in den Mund leben, wo ein großer Teil der Gesellschaft nicht zum Arzt geht, weil man es sich schlicht nicht leisten kann, kann der Ausfall von nur einer Pensionszahlung dazu führen, dass man nichts mehr zu essen hat.

Verlangte Reformen nicht umgesetzt

Der Grund dafür, dass der IWF diesmal nicht zahlen will, ist, dass die Regierungen der beiden Landesteile, der Republika Srpska (RS) und der Föderation, die verlangten Reformen nicht umgesetzt haben. Die EU und die Geldgeber forderten eine Umgestaltung des Arbeitsgesetzes und eine Lohnkostensenkung. Die Gewerkschaften sind dagegen. Die Regierungen haben Angst, Wählerstimmen zu verlieren. Es ist das erste Mal, dass in Bosnien-Herzegowina der Versuch unternommen wird, Reformen an Kredithilfen zu koppeln. Alle anderen EU-Reformstrategien sind in dem Staat bislang gescheitert. Trotz jahrelangen Drucks und unzähliger Versuche gab es etwa keine Verfassungsreform und keine Wirtschaftsreformen, die dem Land zu mehr Wettbewerbsfähigkeit verholfen hätten.

In der EU ist man gespannt, ob die Politiker, die zwar seit Jahrzehnten Versprechungen gegenüber der EU machen, diese aber niemals umsetzen, diesmal reagieren werden. Der Ökonom Damir Miljević aus Banja Luka glaubt, dass die Strategie mittelfristig aufgeht, obwohl sie zunächst keine Wirkung zeigte. "Jetzt versuchen die beiden Regierungen Kredite von kommerziellen Banken zu bekommen, aber das Loch beträgt 500 Millionen Euro: 200 Millionen braucht man in der RS und 300 Millionen in der Föderation. Das kann keine kommerzielle Bank zahlen. Am Ende werden die Politiker im September sich mit dem IWF also einigen müssen", sagt er zum STANDARD.

"Schlimmer als Griechenland"

Miljević glaubt auch nicht, dass der Präsident der RS, Milorad Dodik, Geld von Russland oder russischen Banken bekommen kann, was er offensichtlich versucht, um die Pleite zu vermeiden. Bereits diesen Monat wurden die Pensionen in der RS 20 Tage später ausgezahlt, sagt Miljević. Im Herbst werden sie ganz ausbleiben, wenn man nicht einlenkt. "Bosnien ist nicht so verschuldet wie Griechenland, aber ökonomisch betrachtet ist es in einer schlimmeren Situation. Die Politiker haben aber auch nicht so viel Spielraum wie in Griechenland", meint Miljević.

Verwaltung von Parteien unterlaufen

Strategisch können die bosnischen Politiker tatsächlich nicht mit einem Grexit drohen, sondern nur damit, dass das Land destabilisiert würde und Unruhen aufkommen würden. Bislang haben die Geldgeber darauf immer reagiert und genauso viel zugeschossen, wie notwendig war, um die Staatspleite zu verhindern.

Strukturell sind die Probleme auf dem gesamten Balkan – von Griechenland bis Bosnien-Herzegowina – dieselben. Die Verwaltungen sind politisiert, ineffizient und von Parteien unterlaufen, die ihre Leute dort unterbringen, um sich Wählerstimmen zu sichern. Weil die Arbeitslosigkeit so hoch ist – jene der bosnischen Jugend liegt bei 57 Prozent –, wollen viele einen solchen Verwaltungsjob. Die Parteileute, die solche Jobs dann bekommen, wählen weiterhin die Politiker, die Reformen verweigern. Die anderen gehen meist nicht wählen. "300.000 Menschen erpressen die Hälfte der Bevölkerung", analysiert Miljević.

Geld leihen und weiterwursteln

Der Ökonom Fikret Čaušević aus Sarajevo meint, dass die beiden Regierungen das nötige Geld von kommerziellen Banken ausleihen, damit sie Reformen vermeiden und ohne den IWF-Kredit auskommen können. Er glaubt, dass vorerst 100 Millionen Euro ausreichen, um weiterzuwursteln. Trotzdem hofft Čaušević auf einen neuen Deal mit dem IWF und darauf, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch am Donnerstag in Sarajevo kräftig Druck machen wird.

Merkel in Sarajevo

Deutschland ist Vorreiter bei der neuen EU-Strategie, auf dem Balkan Wirtschaftsreformen zu fordern und das an Geldzahlungen zu binden. Allerdings sind sich Insider nicht so sicher, dass Merkel in Sarajevo auch das Reformthema anschneiden wird, denn bislang haben bosnische Politiker noch nie auf so eine Art von verbalem Druck reagiert. Ihr Besuch steht also eher – wie jener der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini – im Zeichen des 20. Jahrestags des Genozids in Srebrenica. Merkel wird am Donnerstag in Sarajevo eine Ausstellung zum Völkermord an den Bosniaken besuchen, Mogherini am Samstag die große Gedenkveranstaltung in Potočari. (Adelheid Wölfl, 9.7.2015)