In den europäischen Medien geht es derzeit fast nur um die Spekulationen über das Schicksal Griechenlands und der Eurozone nach dem Nein beim Referendum. Die anderen Krisenherde vom Flüchtlingsstrom und dem Atompoker mit dem Iran bis zum Terror im Nahen Osten und zu den Kämpfen in der Ostukraine werden davon überschattet. Erst recht bleiben die möglichen Folgen der schlimmsten Finanzkrise Chinas unterbelichtet.

Es sind, wie so oft, wieder die amerikanischen Ökonomen und Politologen, die zuerst auf die oft verborgenen weltpolitischen Auswirkungen von scheinbar isolierten Phänomenen hinweisen. Bei der schlimmsten Finanzkrise seit 1992 sind innerhalb von nur drei Wochen an der Börse von Schanghai die Aktienkurse um 30 Prozent gefallen. Laut der chinesischen Zentralbank ist umgerechnet 2,4 Billionen Dollar Kapital von 90 Millionen chinesischen Anlegern vernichtet worden. Diese Summe übertrifft den Wert des griechischen Bruttoinlandsprodukts um das Zehnfache! Es war freilich die Regierung selbst (der Staat kontrolliert 95 Prozent des Bankvermögens), die jahrelang mit Propaganda die Kurse um bis zu 150 Prozent nach oben getrieben hat.

Die Zeit der zweistelligen jährlichen Wachstumsraten ist vorbei, und die chinesischen Analysten sehen sogar die soziale Stabilität (bei 1,4 Milliarden Bewohnern) in Gefahr. Der amerikanische Starökonom und ehemalige Finanzminister in der Clinton-Regierung, Larry Summers, bezeichnet auf seiner Vortragsreise in Deutschland die Verlangsamung des Wachstums in der zweitgrößten Wirtschaft der Welt als die derzeit "größte wirtschaftliche Gefahr". Nicht nur die schockierten chinesischen Anleger, sondern auch die Experten der Weltbank drängen die Pekinger Regierung zur massiven Reform des Finanzsystems.

Die nationalistische Reaktion auf die Finanzkrise spiegelt die Panik in der politischen Führung. Die möglichen bedenklichen politischen und militärischen Folgen der sich abzeichnenden Finanzkrise bilden auch den Hintergrund zu dem Plädoyer von George Soros, dem Finanzspekulanten und Philanthropen, für eine "Partnerschaft mit China, um einen Weltkrieg zu vermeiden". In einer langen, düsteren Analyse in der New York Review über die globale Wirtschaftskrise, die aggressive Politik Wladimir Putins und die durch die Schwäche der gespaltenen EU ausgelösten Gefahren zieht der ungarnstämmige New Yorker Finanzier die Schlussfolgerung: Präsident Obama soll bei dem Washington-Besuch des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping im September China ein "aufrichtiges Angebot zur strategischen Partnerschaft" mit den Vereinigten Staaten unterbreiten.

Nicht nur in Griechenland oder China erleben die Menschen das Ende der Illusion des unbegrenzten Wachstums auf Pump. Auch die Hoffnungen nach dem epochalen Umbruch 1989 über das Ende des Kalten Kriegs und des zerstörerischen Nationalismus und über die Zukunft im Zeichen eines liberalen und sozialen Wandels sind verflogen. Man fühlt sich mit Hamlets Worten zurückversetzt in Shakespeares gleichnamiges Trauerspiel: "Die Zeit ist aus den Fugen." (Paul Lendvai, 6.7.2015)