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Anna Grodzka, erste Transsexuelle im polnischen Parlament, macht Wahlkampf für die neue Partia Razem.

Foto: Reuters

Auch Polen hat seine Wutbürger, und sie sind auf dem Vormarsch. Sie bezeichnen die Politiker gern als Verräter, Heuchler, Mörder oder Deppen; und die hätten das Land in ein Schlachtfeld verwandelt. Statt sich die Sorgen der kleinen Leute anzuhören und deren Probleme zu lösen, hätten Polens Präsident, die Regierungschefin und die Minister der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO) Steuergelder in teuren Restaurants verprasst und in Prestigeobjekten versenkt. Die Bevölkerung aber verarme immer mehr, die Jungen hätten keine Arbeit und die Alten zu niedrige Renten.

Schon im Vorfeld der Präsidentenwahl im vergangenen Frühjahr hatten rechte wie linke Oppositionsparteien den allgemeinen Frust bis hin zur enthemmten Wut geschürt – und seitdem ist in Polen nichts mehr, wie es war: Wie Pilze schießen jetzt neue Parteien aus dem Boden, und das rechtzeitig vor den Parlamentswahlen im Herbst.

Schwierige Fünfprozenthürde

Nach acht Jahren unter liberalkonservativer Regierung, an der auch die gemäßigte Bauernpartei PSL beteiligt war, sollte nun eigentlich die Stunde der Linken schlagen. Doch zu den etablierten Parteien im Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, gehören auch das Bündnis der demokratischen Linken (SLD) und die linksalternative Partei "Deine Bewegung" (TR). Doch Umfragen zufolge würden jetzt beide Parteien an der Fünfprozentklausel scheitern.

Aus der Konkursmasse dieser beiden linken Parteien ging vor ein paar Tagen eine neue sozialdemokratische Partei hervor: die "Weiß-Roten". Ihre Gründer sind Grzegorz Napieralski, ehemaliger SLD-Parteivorsitzender, und Andrzej Rozenek, noch bis März TR-Parteisprecher. Vorbild sollen die sozialdemokratischen Parteien in Skandinavien sein. "Wir gehören zum fortschrittlichen Lager", erklärt Rozenek. Schlüsselbegriffe im Parteiprogramm sind: "Entwicklung, Fortschritt, positiver Wandel, Ruhe".

Nicht nur ein, sondern mehrere Chefs

Neu ist auch die Partia Razem (PR) – "Gemeinsam". Zunächst war das Ziel, alle linken und alternativen Gruppierungen in Polen zu einer neuen Partei zusammenzuschließen, um dann gemeinsam im Sejm effektive Politik machen zu können. Im Jänner hatte Marcelina Zawisza, bis vor kurzem noch bei den Grünen, zum Zusammenschluss aufgerufen. Einen Parteichef oder eine -chefin gibt es nicht. Vielmehr ist auch hier "gemeinsam" angesagt. Ein neunköpfiger Vorstand teilt sich die Arbeit auf.

Doch die Idee, ganz auf "bekannte Gesichter" zu verzichten, um nicht mit den inzwischen desavouierten Linksparteien assoziiert zu werden, wurde zu Beginn nicht konsequent umgesetzt. Und so empfiehlt sich Anna Grodzka – einst bei der SLD, dann als erste Transsexuelle für "Deine Bewegung" im Sejm, schließlich Präsidentschaftskandidatin der Grünen – als Zugpferd für Partia Razem ebenso wie Piotr Ikonowicz von der Sozialen Bewegung Solidarität.

Heute sagt Zawisza: "Wir wollen aber keine Partei für gesellschaftliche Nischengruppen sein, sondern eine breite Wählerschaft ansprechen." Programmatisch stehe Partia Razem der linkspopulistischen Partei Spaniens Podemos am nächsten.

Dritter im Bunde

Eine dritte linke Partei schließlich geht auf Jan Guz, den Chef der postkommunistischen Gewerkschaft OPZZ, zurück. Auch er rief linke Gruppierungen und Parteien zu einem Zusammenschluss auf, um im Herbst mit einer gemeinsamen Wahlliste die Chance auf einen Sieg zu erhöhen.

Am Tisch nahm auch die SLD Platz, die die große Hoffnung hegt, im Huckepackverfahren mit fast 30 anderen Parteien und Gruppierungen doch wieder in den Sejm einzuziehen. Denn allein würde es die Partei auf keinen Fall mehr schaffen: Umfragewerte von zwei bis drei Prozent für die einstige Regierungspartei signalisieren ganz klar: Es ist vorbei. (Gabriele Lesser, 6.7.2015)