Gustl Starek im Sommer 2015 auf der Tennisanlage des WAC im Prater. Man hätte ihn auch beim Golfen treffen können. Sein größter Sieg ist, dass er endlich das Verlieren gelernt hat.

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Gustl Starek (stehend, Mitte) ist 1969 mit Bayern München Meister und Cupsieger geworden. Trainer war Branko Zebec.

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Wien – Wacht Gustl Starek des Morgens auf, geniert er sich ein bisserl. Er überlegt, wie er den angebrochenen Tag mit Sinn anfüllen soll. Das ist gar nicht so einfach, ein Dilemma. Er hat mehrere Optionen, es gilt, Fragen schonungslos zu beantworten. "Gehe ich Tennis spielen?" "Gehe ich golfen?" "Gehe ich Karten spielen?" "Gehe ich in den Fitnessklub?" Eine fünfte, mit Aufwand verbundene Alternative wäre, nach Spanien, in seine zweite Heimat zu fliegen. Frau und Herr Starek meiden den österreichischen Winter, verbringen vier Monate am Stück in Marbella. "Jetzt bin ich siebzig", sagt er. "Und sonst habe ich keine Probleme."

Die Wahl ist diesmal auf Tennis gefallen. Der Montag lässt kaum eine Alternative zu. Da trifft sich auf der Anlage des WAC traditionell die "Joschi-Walter-Gedenkrunde". Ergraute Männer, die meisten sind wie Starek Ex-Fußballer, spielen Doppel. Einer gegen einen wäre zu anstrengend, die Zweisamkeit hat also physische oder auch orthopädische Gründe. Herbert Prohaska ist übrigens der Benjamin. Starek hat im Prater das Verlieren gelernt. "Verhaue ich Bälle, lache ich." Ob er ein Lebenskünstler ist? "Würde ich nicht sagen. Ich habe versucht, Standbeine zu haben, damit ich in der Pension über die Runden komme. Das ist mir gelungen."

Gustl, der Nachzügler

Die Liste der Beine ist/war umfangreich: Trainerschein, eine Autowerkstatt mit dem Bruder in Simmering, Kasino in Graz, Beteiligungen an Kaffeehäusern, Eigentumswohnungen, die vermietet werden. "Günstig vermietet. Ich halte nichts von Wucher. Das Leben soll für alle fair sein." Die Anteile an den Geschäften hat er sukzessive abgestoßen. "Weil irgendwann Ruhe sein muss."

Wien, Anfang 1945. Der Zweite Weltkrieg liegt in den letzten Zuckungen. Am 16. Februar wird August geboren, er wächst in Simmering, dem elften Hieb, auf. Der Papa ist Pensionist, der Gustl demnach ein Nachzügler. Sie wohnen in der Schneidergasse. Es ist keine typische Arbeiterfamilie, im Gegenteil. Der Vater ein Hausherr, aber kein Seidenfabrikant. Die Mutter arbeitet in der Gärtnerei ihrer Eltern.

Jeder Groschen wird dreimal umgedreht und viermal ausgewunden. Starek: "Es waren sehr karge Verhältnisse. Wollte ich Fleisch, hat der Vater gesagt: Geh in den Keller und fang dir a Maus." In Simmering herrschte das Gesetz der Straße, im Vergleich dazu war Chicago ein Ponyhof. "Der Stärkere hat recht, zeigst du Schwächen, hast du verloren, bist du der ultimative Depp." Der kleine Gustl hat das verinnerlicht. "Deshalb konnte ich später nicht verlieren." Nach der Schule ging er in den Käfig kicken, bis zum Einbruch der Dunkelheit, so begannen in Wien viele erfolgreiche Karrieren. Den Eltern war der Fußball so etwas von wurscht. Sie sind auch später nie ins Stadion gegangen. "Ich war froh darüber, weil ich mich geniert hätte."

Gustl, das Häferl

Als 15-Jähriger trainiert er mit der Ersten des Simmeringer SC. "Auf der Had" hieß der Sportplatz, ein wunderbar romantischer Name. Heutzutage gibt es Arenen, von UPC über Generali bis hin zu Keine Sorgen. Das Talent des stürmenden Mittelfeldspielers konnte nicht verheimlicht werden. 1965 hat Rapid zugeschlagen, zwei Jahre später wird Starek Meister und Schützenkönig. Der Begabte hat freilich nicht nur positive Eindrücke hinterlassen, er war verhaltensauffällig. "Ich hab mich über jeden Blödsinn aufgeregt. Sogar bei Outeinwürfen habe ich diskutiert. Ich dachte, ich kann mit meiner Art die anderen mitreißen. Oft ist das gelungen. Aber in Wahrheit war ich ein Häferl. Zum Genieren." Die Trainer der gegnerischen Teams erkannten diese Schwäche. "Sie haben gesagt, provoziert den schwindligen Starek, der braucht nur einen Rempler und wird wild. Ich bin viel zu oft in diese Falle getappt. Zum Genieren." Immerhin zählt er nicht zu jener Spezies, die behauptet, alles richtig gemacht zu haben. "Ich würde es total anders machen."

Starek wechselt nach Nürnberg, wird 1968 unter Max Merkel deutscher Meister. Bayern München will und bekommt ihn, 1969 holt er das Double. Mannschaftskollegen waren Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Landsmann Peter Pumm. Ein Kreuzbandriss samt Meniskusschaden wirft Starek aus der Bahn, die Bayern schicken ihn zurück zu Rapid, damit er dort gesundet. November 1971, Tivolistadion. Wacker Innsbruck gegen Rapid, ein Spitzenspiel. An die zweite Minute erinnert sich Starek knapp 44 Jahre später so: "Zweikampf mit Binder, er fliegt nieder, haut mit den Füßen absichtlich gegen mein Becken. Ich sag, bist deppert, er springt auf, würgt mich. Ich hab ihm eine gerieben. Er durfte bleiben, ich wurde ausgeschlossen."

Gustl, der Wütende

Der wütende Starek geht nicht in die Kabine, setzt sich verbotenerweise auf die Ersatzbank. Das Publikum verhöhnt ihn, er lockert seinen Hosengummi, zeigt die Arschbacke her, klopft mit der Faust auf den nun pudelnackten Körperteil. Die Zuschauer johlen, Starek wiederholt den Vorgang. Zwei Polizisten führen ihn ab, Wacker siegt 5:0, Starek wird für zehn Partien gesperrt. Der Journalist Walter Hoyer nennt ihn fortan "Schwarzer Gustl", dieser Beiname ist ihm geblieben, hat Hoyer überlebt. "Es kommt vor, dass mich heute jemand auf der Straße anspricht und sagt: Grüß Gott, Herr Starek, ich kenne Ihren Hintern. Über meine Erfolge wissen die Leute kaum Bescheid."

Auf 22 Länderspiele hat er es gebracht. Teamchef Leopold Stastny wurde zum Vaterersatz. "Der hat mir als Mensch imponiert. Die anderen Trainer waren mir eher wurscht, ich habe generell Probleme mit Autoritäten."

Starek war 17 Jahre lang Profi, hatte zehn Arbeitgeber. Wobei er gleich dreimal Rapid diente. "Ich war neugierig, habe Dinge erledigt, wollte nie Ikone eines Klubs werden." 1980 hörte er bei der Vienna auf, um nahtlos Trainer zu sein. Starek übernahm die Austria Salzburg. In 19 Jahren brachte er es auf elf Klubs. "Meist Trümmerhaufen." Zum Beispiel 1992 Rapid. "Nach der Ära Krankl war ich die Müllabfuhr." Beim GAK streckte er Spielern die ausständigen Gehälter vor. "Es herrschte das wirtschaftliche Chaos." Letzte Trainerstation war 1999 Kärnten. "Die wollten ohne Mittel Weltmeister sein. Jörg Haider ist im Hintergrund aufgetaucht, unter dem wollte ich nicht arbeiten."

Gustl, der Konsument

Der zweifache Vater und Großvater wurde zum Fußballkonsumenten. Als offizielle Rapid-Legende besucht er regelmäßig Ligaspiele, das Nationalteam findet er unter Marcel Koller "ganz wunderbar. Ich fahre mit einer Partie zur EM nach Frankreich."

Starek hat mit sich und seinem Hintern Frieden geschlossen. "Ich wäre gerne noch einmal zwanzig mit dem Wissen von heute. Dann tät ich der Welt einen Hax'n ausreißen." Morgen geht er golfen. Oder Karten spielen. "Man weiß ja nie, was der Tag bringt." (Christian Hackl, 6.7.2015)