Sie ist den meisten nicht abgegangen, aber ihr Fehlen war dennoch erstaunlich: Deutschland war bisher fast das einzige europäische Land ohne eine starke rechtspopulistische Partei. Es gibt zwar die NPD, aber die ist viel zu extrem für anhaltende Wahlerfolge; die Linke ist zwar populistisch, aber nur in Ansätzen rechts. Und die Alternative für Deutschland (AfD) wurde 2012 als Sammelbecken von Ökonomen und Wirtschaftstreibenden gegründet, die zwar gegen den Euro sind, sich aber von Fremdenfeindlichkeit und anderen rechten Stammtischthemen scharf abgrenzen.

Damit ist es nun vorbei. Auch unter Bernd Lucke ist die AfD bereits nach rechts gerückt, der zeitweilige Erfolg der Pegida-Demonstrationen entfaltete eine zusätzliche Sogwirkung. Aber erst mit dem Sieg von Frauke Petry über Lucke ist Deutschland nun an einem Punkt angekommen, den seine Nachbarn wie Österreich, Schweiz, die Niederlande und Dänemark gut kennen. Der Essener Parteitag, auf dem Petry triumphierte, erinnerte mit seinen dumpf-aggressiven Tönen frappant an den berüchtigten Innsbrucker FPÖ-Parteitag von 1986, als Jörg Haider im nationalen Rausch Norbert Stegers Liberale hinwegfegte.

Stärkste Opposition zur großen Koalition

Petrys Truppe hat nun gute Chancen, zu einem bedeutenden Faktor in der deutschen Politik zu werden und die Mehrheitsverhältnisse in vielen Ländern und Gemeinden umzukrempeln. Und bis zur Bundestagswahl 2017 hat sie genug Zeit, um sich als stärkste Oppositionskraft gegen die große Koalition zu profilieren und dadurch der Union, der SPD, der FDP und den Linken Millionen von Wählern abspenstig zu machen. Wenn das gelingt, dann ereilt Deutschland bald das gleiche strukturelle Dilemma wie Österreich: Die Stärke populistischer Kräfte, die nicht regierungsfähig sind, zwingt die etablierten Parteien zur Zusammenarbeit, was wiederum den Populisten das fruchtbare Feld der unzufriedenen Protestwähler überlässt.

Zwei Faktoren haben den Aufstieg deutscher Rechtsparteien bisher gebremst: Vor allem in der Ex-DDR gibt es ein echtes Problem mit rechtsextremer Gewalt, die Parteien in diesem Spektrum zu diskreditieren droht. Und die Sensibilität gegenüber rechten Ideologien ist im Geburtsland des Nationalsozialismus höher als anderswo.

Turbulente Zeiten für Deutschland

Auch Petry kann sich hier leicht verbrennen, wenn sie die Erfolgsrezepte von Heinz-Christian Strache zu kopieren sucht. Die Pegida mit ihren braunen Mitläufern ist ein Wähler- und Funktionärsreservoir mit viel politischem und medialem Sprengstoff. Aber es ist zu befürchten, dass auch unter deutschen Wählern die Berührungsängste zum rechten Rand schwinden. Eine Partei darf ruhig gegen Scheinasylanten, Islamisten, Kopftuchträgerinnen, faule Südeuropäer und korrupte Banker wettern, solange sie den Anschein der demokratischen Respektabilität behält.

Petry ist dieser Spagat zuzutrauen. Auch eine Abspaltung von Luckes Wirtschaftsflügel wird sie kaum schwächen. Deutschland stehen turbulente politische Zeiten bevor. (Eric Frey, 5.7.2015)