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Griechenlands außenpolitische Macht wird durch die EU potenziert, sagt Experte Kaim.

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Markus Kaim (47) ist Experte für Sicherheitspolitik an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

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STANDARD: In der öffentlichen Diskussion um die Zukunft Griechenlands überwiegen derzeit wirtschaftliche Aspekte. Welche Rolle spielen jedoch geopolitische Überlegungen bei den Verhandlungen?

Kaim: Ich halte den Ausdruck Geopolitik, der Einzug in die öffentliche Debatte gefunden hat, in diesem Fall für unzutreffend. Vielmehr geht es um verschiedene Konfliktebenen. Im Moment haben wir einen finanzpolitischen Konflikt, der sich ausweiten könnte.

STANDARD: In welche Richtung könnte sich der Konflikt konkret ausweiten?

Kaim: Der wirtschaftspolitische Konflikt könnte sich zu einem integrationspolitischen Konflikt in der Europäischen Union ausweiten, wenn er das nicht bereits ist. Und dieser könnte zu einem außen- und sicherheitspolitischen Konflikt führen.

STANDARD: Können Sie das genauer erklären?

Kaim: Die Grundannahme des Integrationsprozesses der letzten sechzig Jahre ist, dass er sich weiterhin bruchlos vollziehen wird in Richtung einer immer enger verknüpften Europäischen Union. Die Griechenland-Krise hat die nach wie vor existierenden Bruchlinien – Stichworte Austeritätspolitik und Souveränitätsrechte – wieder zutage gefördert.

STANDARD: Was bedeutet diese Debatte in Bezug auf die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Union?

Kaim: Es zeigt vor allem, dass die EU kein selbstverständliches Erfolgsmodell mehr ist. Der Integrationsprozess schien noch vor zehn Jahren eine immerwährende Erfolgsgeschichte zu sein, und Europa war im Frieden mit sich selbst. Vor diesem Hintergrund konnte sich die EU nach außen wenden. Heute bieten etwa Russland und China ganz offensiv konkurrierende politische Ordnungsmodelle an.

STANDARD: Welches Interesse haben die USA am Ausgang der Verhandlungen mit Griechenland?

Kaim: Ich glaube, dass es Washington egal ist, welcher "Modus Operandi" mit Griechenland gefunden wird: mit oder ohne Referendum, mit oder ohne Schuldenschnitt. Wichtig ist ihnen der Erfolg des Integrationsprozesses der Europäischen Union an sich, weil Washington heute großes Interesse an einem starken und einigen Europa hat, etwa in der Ukraine-Krise.

STANDARD: Würde im Falle eines Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone oder gar aus der EU auch die Nato nervös, die etwa eine große Militärbasis auf Kreta betreibt?

Kaim: Ich sehe keinen direkten Zusammenhang zwischen der griechischen Finanzkrise und der Verteidigungspolitik Athens. Zwar mögen vielleicht die finanziellen und politischen Handlungsspielräume geringer werden, aber selbst wenn Griechenland aus der Eurozone ausscheidet, wird dies nicht zwingend zur Folge haben, dass sich Athen sicherheitspolitisch neu orientiert.

STANDARD: Sie haben kurz die Ukraine angesprochen. Wie gestaltet sich das Spannungsverhältnis zwischen der EU, Russland und Griechenland?

Kaim: Die Ursorge der Europäer, dass die Griechen ihre Vetomacht im Rahmen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik geltend machen würden – Stichwort Sanktionen gegen Russland –, hat sich nicht manifestiert. Die Griechen haben der Verlängerung der Sanktionen zugestimmt. Das Erpressungspotenzial hat sich nicht entwickelt, und die Griechen sind in dieser Hinsicht solidarischer, als wir gemeinhin glauben.

STANDARD: Alexis Tsipras hat Russlands Präsident Wladimir Putin besucht.

Kaim: Es gibt zwar Akteure innerhalb Griechenlands, die mit der Idee einer Sonderbeziehung zu Russland spielen. Das wird bei politischen Debatten innerhalb der EU natürlich instrumentalisiert. Ich sehe jedoch keinen Mehrwert einer griechischen Politik, die sich von Europa entfernt und eine Annäherung an Russland sucht. Denn eine Grundgleichung bleibt bei allem Zwist weiterhin bestehen: Die EU potenziert den Einfluss Griechenlands in der Welt.

STANDARD: Neben Italien und Spanien gilt Griechenland für viele Flüchtlinge als Tor nach Europa. Stärkt das die Verhandlungsposition Griechenlands?

Kaim: Mein Eindruck ist, dass die Griechen mit dem Flüchtlingsthema spielen und versuchen, Druck aufzubauen. Generell glaube ich, dass das Drohpotenzial aber auch an Grenzen stößt.

STANDARD: Vor welchen Herausforderungen steht ein möglicherweise instabiles Griechenland im Hinblick auf seine Nachbarn?

Kaim: Ich sehe nur Verlierer auf der europäischen Seite. Die EU wird ein Verlierer sein wegen ihrer geschwächten außenpolitischen Handlungsfähigkeit. Griechenland definitiv auch. Ein Verlassen der EU halte ich aber ohnedies für total unwahrscheinlich. Eine abgestufte Mitgliedschaft Griechenlands wäre eine Option, wie bei Polen oder Dänemark. Bei diesen denken wir nicht darüber nach, ob es destabilisierend wirken würde. Eine Renationalisierung der griechischen Außen- und Sicherheitspolitik könnte aber durchaus ungeahnte Konsequenzen haben, wenn man sich vorstellt, dass sich beispielsweise der Konflikt mit der Türkei neu entfacht. (Aaron Salzer, 6.7.2015)