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Strom aus Sonne und Wind – bis 2030 sollen 30 Prozent der Energieversorgung daraus stammen.

Foto: APA/dpa/Julian Stratenschulte

Wien – Wind- und Solarenergie werden in 15 Jahren ein Drittel des Strombedarfs in Europa decken, alle Erneuerbaren Energien zusammen sogar die Hälfte. Davon gehen Experten des deutschen Thinktanks Agora aus. Die Integration ins System lasse sich bewerkstelligen, insbesondere wenn die CWE-Region aus Österreich, Deutschland, Frankreich, Schweiz und den Benelux-Ländern enger zusammenarbeite.

Eine engere Vernetzung der Stromsysteme dieser Region könne entscheidend dazu beitragen, die Aufwendungen zum Ausgleich der wetterabhängigen Wind- und Sonnenenergie und damit die Anforderungen an das restliche Stromsystem zu senken. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) für Agora Energiewende.

In Zentralwesteuropa insgesamt könnten durch eine engere Verknüpfung der CWE-Netze die Schwankungen bei der Produktion von Windstrom auf die Hälfte der Summe der Schwankungen der einzelnen Länder gesenkt werden. "Die stündlichen Schwankungen halbieren sich durch eine Integration", sagt der Agora-Experte und TU-Wien-Absolvent Christian Redl.

"Abregelung"

Mehr Integration verhindere, dass zu viel Wind- oder Solarstrom ungenutzt verworfen werden müsse. Im Vergleich zu nicht miteinander gekoppelten Stromsystemen könne die sonst nötige "Abregelung" überschüssiger Erzeugung zu 90 Prozent vermieden werden. "Andersherum gerechnet müsste national zehnmal mehr Strom abgeregelt werden, wenn jedes Land eine Insel bliebe", sagt Redl. Die Länder bekämen also Zugriff auf einen größeren Set an Ausgleich. "Die Welt wird technisch anspruchsvoller, aber es können kostengünstiger die CO2-Ziele erreicht werden." Zugleich steige der monetäre Wert von Renewables-Strom.

Allerdings senke eine engere Vernetzung in Zentralwesteuropa den Flexibilitätsbedarf nicht auf null: Flexible Kraftwerke – Pumpspeicher, Gaskraftwerke – und Stromspeicher würden künftig wichtig, um Backup- und Ausgleichsfunktionen zu übernehmen. Viele konventionelle Kraftwerke würden in Zukunft binnen sehr kurzer Zeit auf Änderungen bei der Stromproduktion aus Erneuerbaren Energien reagieren müssen. Bei 50 Prozent Stromanteil aus Erneuerbaren im Jahr 2030 müssten Kohle und Atomkraftwerke in Europa hinterfragt werden, so Redl, der an der TU Wien im Fachbereich Energiewirtschaft promoviert hat. Derzeit zerstöre die durchlaufende Grundlasterzeugung von Strom aus Braunkohle- und Nuklearanlagen, die 7.000 Stunden jährlich laufen, die Preissignale.

Wasserkraft profitiert

"Die österreichische Wasserkraft wird profitieren, sie dürfte laut unserer Studie ihre jährliche Erzeugung in den Pumpspeichern um ein Drittel steigern können", sagt Redl. "Die Laufzeit dürfte sich von 1.900 auf 2.500 Stunden im Jahr erhöhen." Österreich werde sich "als regionaler Spieler und Flexibilitätsanbieter profilieren können". Strompreisprognosen könne man dazu aber keine abgeben.

Für die nationalen Stromnetze ist Agora "sehr optimistisch", aber nur "konservativ", was die grenzüberschreitenden Leitungsverbindungen betrifft. Im Vergleich zu den Schätzungen der Vereinigung der europäischen Übertragungsnetzbetreiber (Entso-E), der auch die Verbund-Tochter APG angehört, geht Agora nur von einer Steigerung der Netzkapazität um 50 Prozent aus und nicht von einer Verdoppelung. Die Zehnjahrespläne der Entso-E seien "eventuell zu aufgeblasen".

Dass früher oder später der Widerstand Bayerns gegen einen Ausbau der Nord-Süd-Stromautobahnen in Deutschland gebrochen wird – am Donnerstag gab Bayern den Weg für zwei neue Leitungen grundsätzlich frei –, stand für Redl schon länger fest. Das "wird nicht ewig halten", zeigte er sich überzeugt. Alle hätten versucht, "die Bayern auf Vordermann zu bringen".

Energiewende

Natürlich werde sich etwas ändern müssen, etwa weil auch in Deutschland die Bevölkerung zu 90 Prozent die Energiewende-Ziele unterstütze. Wolle man bis 2050 rund 80 Prozent Strom aus Erneuerbaren, bedeute das 55 bis 60 Prozent bereits bis 2035. "Den NGOs, den Forschungsinstituten und den Netzbetreibern ist das bewusst."

"Bauernopfer" im nordsüddeutschen Stromnetzstreit könnte ausgerechnet Österreich sein, konstatiert Redl. Denn um nicht einen "physikalischen" Stromkonflikt zwischen dem Norden und dem Süden Deutschlands heraufzubeschwören, bei dem Bayern aus dem deutschen Markt herausfallen könnte, wird überlegt, die Schotten noch weiter südlich an der Grenze zu Österreich dichtzumachen. Österreich profitiert derzeit vom gemeinsamen Markt mit Deutschland in Form günstigerer Stromgroßhandelspreise.

"Die deutsche Bundesnetzagentur überlegt offenbar ernsthaft die Aufsplittung des gemeinsamen Strommarktes Deutschland-Österreich", sagt Redl und verweist auf die physikalischen Netzkapazitäten an der Grenze, die eigentlich bis zu zehn Gigawatt (GW) ausmachen würden. Aber es würden auch Fragen der Netzreserve und grenzüberschreitender Kontrahierungen hineinspielen. "Wenn der deutsche Regulator den Engpass auch im Markt abbildet, können nur mehr bis zu sechs GW gehandelt werden zwischen Deutschland und Österreich." Das bedeute dann weniger Redispatch-Bedarf und weniger ungewollte Stromflüsse etwa im Westen über die Niederlande und im Osten über Polen und Tschechien. "Die Bundesnetzagentur sieht, dass es mit dem deutschen Netzausbau bis 2018/19 offenbar eng wird. Aber wenn man durch eine Neugestaltung in die Preiszonen eingreift, sinkt der Aufwand für Netzeingriffe", so Redl.

Keine Abschottung

Dabei hatte Bundesnetzagentur-Präsident Jochen Homann erst Mitte Juni bei einem Aufenthalt in Wien betont, es gebe gar keine Absicht, sich abzuschotten. "Deutschland wird hier keine einseitigen Maßnahmen setzen – nur mit Österreich gemeinsam", sagte Homann auf Einladung der E-Control bei einem Vortrag zur Frage Engpassmanagement an der Grenze. Aber: Wenn "zeitweise bis zu zehn Gigawatt exportiert werden nach Österreich", sei es schon "ein Problem", nämlich "mehr als die Netze vertragen".

Preislich könnten Windkraft und Photovoltaik mithalten, ist Agora-Experte Redl überzeugt: "Künftig werden die zwei kostengünstigsten Technologien die Hauptsäule der Stromversorgung darstellen. Die Kostenparität ist schon hergestellt." Umgelegt auf die Megawattstunde (MWh) Elektrizität lägen die Vollkosten für Neuanlagen aktuell bei 60 bis 90 Euro, für 2030 sei aber mit 40 bis 60 Euro je MWh zu rechnen – der untere Wert versteht sich für Wind-onshore-Anlagen in Norddeutschland, der höhere für PV-Anlagen etwa in Bayern. Die 60 bis 90 Euro/MWh seien durchaus vergleichbar mit den heutigen 70 bis 90 Euro/MWh bei neuen Gas- oder Kohlekraftwerken. Zugleich liege im Großhandel der Strompreis aber bei 30 bis 35 Euro je MWh, damit rechne sich heute überhaupt keine Neuanlage.

Schere geht auf

Immer mehr zugunsten der Erneuerbaren werde die Schere etwa durch ein Steigen der CO2-Preise aufgehen – und auch weil die Gas- und Kohle-Technologien nicht mehr weiter verbessert werden könnten, sondern schon am oberen Limit seien. Auch für Kraft-Wärme-Kopplungen und gasbefeuerte Kraftwerke sei es ganz wichtig, den CO2-Handel wieder in vernünftige Bahnen zu bekommen. Der Zertifikate-Überschuss werde von jetzt 1,5 Milliarden Tonnen bis 2020 auf zwei Milliarden zunehmen.

"Die Politik in Europa muss da sehr stark eingreifen, um ab 2025 wieder Knappheiten im System generieren zu können", sagt Redl, der auf Schätzungen verweist, wonach der extrem tiefe CO2-Preis dann auf 20 bis 30 Euro/t klettern könnte. Zu wenig "Schatten-Kraftwerke" auf konventioneller Basis, um den volatilen Strom aus Erneuerbaren abzupuffern, wird es 2030 nicht geben, so Redl. Im Gegenteil gebe es heute in Europa zu viel Kapazität, auch noch in den nächsten sechs, sieben Jahren. (APA, 3.7.2015)