Es gibt Entscheidungen, vor die man nur ein einziges Mal gestellt wird. Als die gebürtige Grazerin Silvia Roth-Bruggers und ihr holländischer Ehemann Eilko zu Ostern 2009 über eine andalusische Schotterpiste fuhren, standen sie vor einer solchen. Nur einen Steinwurf von Granada entfernt, stießen sie auf den Cortijo del Marqués. Das Landhaus aus dem 16. Jahrhundert hatte das Ehepaar auf der Stelle verzaubert – und nur wenig später vor viele Herausforderungen gestellt.

Seit 2011 führen die beiden Neohoteliers das andalusische Gehöft als luxuriöse Oase für Ruhesuchende. Was diese hier finden? Entspannung zwischen Olivenhainen mit Blick auf die oft bis in den Frühsommer hinein schneebedeckte Sierra Nevada. Es ist ein romantisches Refugium, in dem die Zeit langsamer zu verstreichen scheint als anderswo. Und das Gezwitscher der Vögel, die im Turm des Cortijo einen idealen Nistplatz gefunden haben, ist oft das Einzige, was einem als Gast über die Welt da draußen zu Ohren kommt.

Foto: Jan Marot

"Dieses Gehöft zu renovieren und sukzessive auszubauen, war bei weitem stressiger, als alles, was ich je zuvor gemacht habe", sagt Ex-Investmentbanker Eilko. Mal lag das an den bürokratischen Bauvorschriften, mal an der "andalusischen Gemütlichkeit" im Arbeitsleben, an die sich auch Silvia, die früher im Software-Marketing tätig war, erst einmal gewöhnen musste. Aber was ist das alles im Vergleich zur Trägheit dieser Mauern.

Die bewegte Geschichte des Cortijo fußt in seiner Errichtung vor rund 500 Jahren, das exakte Baudatum ist unbekannt. In die Anlage integrierte römische Säulen lassen sogar auf eine weitaus längere Besiedlung des Areals schließen, zumal es an einer dereinst stark frequentierten Römerstraße liegt. Der Namensgeber des Anwesens war übrigens der Marqués de Mondejar (1489-1566), Verwalter der maurischen Palast- und Festungsanlage Alhambra in Granada.

Aus dem Archiv von Toledo

Er erwarb das damals wohl noch bescheidener dimensionierte Gehöft 1532 von maurischen Vorbesitzern. Der Kaufvertrag, oder genauer gesagt dessen Übersetzung aus dem Arabischen ins altkastilische Spanisch, liegt bis heute im Archiv von Toledo. Es handelte sich um einen Notverkauf mehrerer tausender Hektar Ackerland, der unter Zwang und zum Spottpreis getätigt wurde – wie so viele Quasi-Enteignungen nach dem Ende der christlichen Rückeroberung des muslimischen Spanien im Jahr 1492. Die Muslime mussten den siegreichen Christen zu dieser Zeit zwei Drittel ihres Besitzes überantworten.

Foto: Cortijo del Marqués

Der Marqués de Mondejar war überdies ein enger Freund von Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, was ihm zu wichtigen Aufgaben verhalf: etwa die Aufsicht über den Bau der Kathedrale von Granada.

Während der folgenden Jahrhunderte wurde der Cortijo als Agrarbetrieb geführt. Erst um 1878 begann man einen großzügigen Ausbau. Er bescherte dem Cortijo mit eigener Kapelle und einem Wachturm eher das Antlitz eines kleinen, befestigten Dorfes. Eine päpstliche Bulle von Leo XIII. aus dem Jahr 1880 billigte der Kapelle des Cortijo sogar das Kirchenrecht zu.

Zur Zeit des Spanischen Bürgerkrieges, als das Gehöft den republikanischen Streitkräften als Kaserne diente, wurde die Kapelle von der Artillerie der nationalistischen Putschisten Francisco Francos schwer beschädigt. Heute lagern neben der kühlen Sakristei – noch bis zur Umgestaltung des Getreidesilos zum Weinkeller – die edlen Tropfen des Hotels.

Behutsame Vorarbeiter

Bis in die späten 1970er-Jahre lebten hier Arbeiterfamilien, ohne Strom und fließend Wasser. Zur Zeit der Olivenernte waren es bis zu 30 Familien, die hier auf engstem Raum hausten. Danach wurde der Cortijo verlassen und verfiel sukzessive, bis die Vorbesitzer der Bruggers – ein spanisches Ehepaar – nach der Jahrtausendwende begonnen haben, das Areal liebevoll zu restaurieren. Auch sie hatten Pläne, daraus ein Landhotel zu machen. Glücklicherweise konservierten sie dabei die originalen Baumerkmale.

Foto: Cortijo del Marqués

Nun beherbergen diese Gemäuer 15 Zimmer, die nach ihrem ursprünglichen Nutzen benannt und eingerichtet sind. Man nächtigt demnach im Kornspeicher, in der Zisterne, in einem Turmzimmer mit Panorama-Blick oder der Tischlerei. Ausgestattet sind manche dieser Räume mit alten Pferdetränken oder mit in den Boden eingelassenen Bottichen, in denen früher frisches Olivenöl lagerte.

Fernseher gibt es übrigens keine. Wozu auch? Der Blick in die Ferne bleibt an eben jenen Olivenbäumen hängen, deren Früchte bis heute frisch gepresst oder eingelegt den Weg ins Hotel finden. Die saftigen Granatäpfel reifen dagegen auf Bäumen im schattigen Innenhof des Cortijo. (Jan Marot, 6.7.2015)