Ob es die Frösche auch riechen? Ein gutes Dutzend Lurche hat sich in der offenen Zisterne eingefunden und lässt ein munteres Quaken ertönen. Derweil trägt ein Windhauch die Düfte aus dem angrenzenden Garten herbei. Schwere, süßliche Noten sind darunter, ebenso wie würzige und fruchtig anmutende Komponenten.

Was für ein Bouquet! Man schließt die Augen und genießt. Nun fällt auch das Summen im Hintergrund auf. Ganze Geschwader von Bienen, Hummeln und anderen Insekten umschwirren die Gewächse. Für sie ist dieser Ort ein wahres Schlaraffenland. Der Wind dreht, andere Gerüche mischen sich in die Duftwolke. Sie kommen aus dem Wald, sind harzig und erdig.

Nasenschmeichler

"Oh ja, das ist Korsika", sagt Albrecht von Keyserlingk vergnügt lächelnd. Offenbar kennt er die Reaktionen seiner Besucher nur allzu gut. Für ihn ist das Umschmeicheln der Nase indes Alltag. Zusammen mit seiner Tochter leitet der 70-Jährige "Essences naturelles corses", einen kleinen Familienbetrieb mit Sitz auf einem alten Bauernhof in San Nicolao, unweit der Ostküste der Insel. Die Firma produziert Aromen und Extrakte, hergestellt aus 100 Prozent natürlichen Zutaten in Bio-Qualität. Der Garten dient zur Präsentation der botanischen Vielfalt.

Albrecht von Keyserlingk mit einem Cedrat

Stolz zeigt Keyserlingk auf einen Busch mit riesigen gelben, zitronenähnlichen Früchten. Ein Cedrat, erklärt er. Dieses Obst hat kaum Fruchtfleisch, dafür aber eine enorm dicke Schale, die man zu erstklassigem Zitronat verarbeiten kann. Kleinschneiden, zuerst in Salzwasser aufkochen, um die Bitterstoffe loszuwerden, und anschließend in Zucker einlegen. Der Geschmack sei einfach großartig, schwärmt er.

Die Familie hat eine interessante Geschichte. Albrecht von Keyserlingks Vater, Spross eines alten baltischen Geschlechts, war im Zweiten Weltkrieg in russischer Kriegsgefangenschaft und wanderte 1961 von Deutschland nach Korsika aus. "Er hatte eine grauenhafte Angst vor Kälte", erzählt sein Sohn heute. Der damals gekaufte Hof war auf den Anbau von Zitrusfrüchten ausgelegt.

Der Duft des Geldes

Als der Junior 22 Jahre später übernahm, schwebte dem gleichwohl ein anderer Gedanke vor. Die überwältigenden Düfte der Insel, damit müsste doch gutes Geld zu verdienen sein. Und so begann Albrecht von Keyserlingk, eigentlich gelernter Psychoanalytiker, sich das notwendige Fachwissen anzueignen. Mit Erfolg. Der Betrieb floriert und verkauft seine Produkte in alle Welt – unter anderem an Kosmetik-Hersteller.

Zitrusblüte mit jagende Spinne
Foto: Kurt de Swaaf

Das Geheimnis liegt in der Maquis, jener struppigen Strauchlandschaft, die große Teile Korsikas bedeckt. "Sie ist sehr reich an wilden Aromapflanzen", sagt Keyserlingk. Die Gewächse enthalten zahllose wohlriechende Substanzen. Was allerdings die menschlichen Sinne so betört, sind eigentlich Kampfstoffe. Sie sollen gefräßigen Insekten und auch grasenden Huftieren den Appetit verderben. Den Wiederkäuern können vor allem die ätherischen Öle gehörig auf die Mägen schlagen. Kein Wunder also, dass der Maquis über die Jahrhunderte hinweg auch Horden hungriger Ziegen und Schafe standgehalten hat.

Pfeffriger Thymian

Die korsische Flora zeichnet sich nicht nur durch ihre Düfte, sondern auch durch ihre große Biodiversität aus. Insgesamt beherbergt das Eiland 2.397 verschiedene Pflanzenspezies. 92 davon sind so genannte Endemiten – sie kommen also nur hier und nirgendwo sonst auf Erden vor. In diese Kategorie gehört Thymus herba-barona, eine Thymian-Art, die gleichzeitig nach Zitronen und Pfeffer schmeckt. Herrlich zu gegrilltem Fisch.

Ihre botanische Vielfalt verdankt die Insel in erster Linie der Geologie. Korsika wirkt so, als hätte ein Riese ein Stück Alpen ins Mittelmeer geworfen. Die Berge ragen zum Teil über 2.500 Meter in den Himmel. Dementsprechend sind von der Küste bis zu den Gipfeln auch mehrere Klimazonen vertreten. Je höher, desto kühler. Der felsige Untergrund besteht im Norden und Osten aus Schiefer. Im Westen dagegen dominiert Granit, im äußersten Süden Kalkgestein.

Bild nicht mehr verfügbar.

Diese Verschiedenheit kommt dem Artenreichtum ebenfalls zugute, denn viele Pflanzenspezies haben ausgeprägte Vorlieben hinsichtlich des Bodens, in den sie ihre Wurzeln schlagen. Eines der begehrtesten Gewächse Korsikas ist allerdings nicht sehr wählerisch: die "Immortelle", botanisch Helichrysum italicum, zu Deutsch auch Currykraut. Ein Griff in die filzig anmutenden Blättchen, und man versteht wieso. Getrocknete Sträuße behalten ihren typischen Duft monatelang – daher der französische Name: "Unsterbliche".

In der Naturmedizin werden Immortelle-Präparate zur Behandlung von Hämatomen und Hautkrankheiten eingesetzt. Die Pflanzen gedeihen auf kargem, sandigen Grund. Inzwischen bauen sie einige Landwirte gezielt an und beliefern seinen Betrieb, erzählt Keyserlingk. Nur so lasse sich die gestiegene Nachfrage nach Immortelle-Produkten befriedigen.

Zutat für Eau de Cologne

Der Gutsbesitzer führt seine Gäste zu den Wirtschaftsgebäuden. Unter einem Vordach liegt ein Haufen zerquetschter Rosmarinzweige. Deren ätherisches Öl, eine typische Zutat für Eau de Cologne, wird durch Destillation gewonnen. "Man schickt Wasserdampf in die Pflanzen, dadurch explodieren die Zellen", erklärt er. In den Arbeitsräumen reihen sich summende Maschinen und Glaskolben aneinander. Keyserlingk sagt mit einem verschmitzten Lächeln: "Es ist schön, mit diesen Dingen herumzuspielen."

Bild nicht mehr verfügbar.

San Nicolao

Szenenwechsel: Im Landesinneren rund 20 Kilometer nordwestlich von San Nicolao überzieht ein Heer aus dunklen Stämmen die Hänge. Ein majestätischer Anblick. Die berühmte Laricio-Kiefer, erklärt der Botaniker und Bergführer Philippe Higoa. Auch sie sei eine endemische Art und gelte als "König der korsischen Wälder". Einst waren die bis zu 50 Meter hohen Bäume bei Schiffsbauern beliebt. Sie fertigten Mäste daraus. Higoa deutet auf einige bleichblühende Stauden am Waldboden. Helleborus argutifolius, der Korsische Nieswurz. Sehr giftig, betont der Fachmann. Dennoch wurden die Blätter früher zum Einwickeln von Käse verwendet. Als Schutz vor Fliegen.

Auf ruhigen Ziegenpfaden

Den botanischen Reichtum Korsikas erkundet man am besten zu Fuß. Die Insel verfügt auch über wesentlich einsamere Alternativen zum bekannten Fernwanderweg GR20. Manche gleichen allerdings eher Ziegenpfaden, entsprechendes Schuhwerk ist unabdingbar. Durch Schluchten wie die Spelunca im Westen und Täler wie das Restonica im Zentrum rauschen klare Bäche. Wer gerne abenteuerlich fischt, kann dort auf die Forellenpirsch gehen. Erlaubnisscheine sind in den örtlichen Fachgeschäften erhältlich.

Bild nicht mehr verfügbar.

Durch das Restonica-Tal rauschen klare Bäche.

Im Dorf Venaco trifft sich die Jugend am Abend auf einer Terrasse und trinkt Kastanienbier. Nach Sonnenuntergang scheint die Gebirgslandschaft tief auszuatmen. Die Bienen verstummen, nun schlägt die Stunde der Nachtfalter, und die Fledermäuse kreisen über den wenigen Straßenlaternen. Ein kurzes Gewitter zaubert wieder neue Düfte hervor: Man wird das ständig wechselnde Bouquet Korsikas zuhause vermissen. (Kurt de Swaaf, 6.7.2015)