Pensionisten warten am Mittwoch auf ihre Rentenauszahlung vor einer Bank in Santorin. Lediglich für diese Auszahlungen sind die Banken geöffnet.

Jacob Funk Kirkegaard.

STANDARD: Derzeit versucht Griechenland, mit Kapitalverkehrskontrollen über die Runden zu kommen. Manche Experten meinen, dass das Land damit die aktuelle Krise durchtauchen könnte. Was sagen Sie?

Kirkegaard: Die Folgen der Kapitalverkehrskontrollen sind, dass die Leute zu wenig Cash haben. Es gibt auch viele Unternehmen, die Engpässe bekommen. Sie können ihre Lieferanten und Löhne nicht bezahlen. Viele Klein- und Mittelbetriebe werden zweifellos in den nächsten Wochen pleitegehen. Das ist eine Katastrophe für die griechische Wirtschaft. Aber es ist der einzige Weg, ein noch größeres Desaster zu verhindern. Wenn man keine Kapitalverkehrskontrollen durchführen würde, käme es zu einem Bankrun, sie wären insolvent, müssten geschlossen werden und könnten wegen Kapitalmangels auch nicht wieder aufsperren. Zur von Athen für den 6. Juli in Aussicht gestellten Öffnung der Banken wird es aus meiner Sicht nicht kommen, weil es keine neuen Notfallmittel der Europäischen Zentralbank geben wird, solange diese Regierung im Amt ist.

STANDARD: Die EZB könnte sogar einen Schritt weiter gehen und die bereits verliehenen 90 Milliarden Euro zurückverlangen, da das Programm für Griechenland nun ausgelaufen ist.

Kirkegaard: Es gibt gute Argumente dafür. Aber die EZB verhält sich sehr entgegenkommend und damit clever. Mit der jetzigen Vorgangsweise hat die Notenbank die Kapitalverkehrskontrollen erzwungen.

STANDARD: Derzeit gibt es ein ziemliches Tauziehen zwischen Athen, Frankfurt und Brüssel. Mit welchen Reaktionen rechnen Sie, sollten die Griechen für die Sparpläne der Geldgeber stimmen?

Kirkegaard: Es waren die griechischen Behörden, die die Gespräche abgebrochen haben. Der Ball liegt in ihrer Spielhälfte. Nun stellt sich die Frage, ob die Regierung oder die Bevölkerung den Ball aufnimmt. Ich bin überzeugt, dass die Wähler für das Programm und gegen ihre Regierung stimmen werden. Dann muss Ministerpräsident Alexis Tsipras zurücktreten, Neuwahlen wären die Folge. Die Formierung einer Einheitsregierung wäre wahrscheinlich nur eine Übergangslösung. Bis eine neue Regierung steht, kann kein neues Programm ausverhandelt werden. So lange können auch die Banken nicht wieder aufsperren. Somit könnten die Bankferien gut einen Monat andauern.

STANDARD: In der Zwischenzeit werden oder wurden die Forderungen des Währungsfonds und der EZB schon fällig. Welche Konsequenzen hat eine Nichtbegleichung der offenen Rechnungen?

Kirkegaard: Griechenland kommt dann in Zahlungsverzug. Mein Vorschlag dazu lautet: Die Eurogruppe sollte die Rate an den IWF übernehmen und dafür die Gewinne aus den Käufen griechischer Staatsanleihen (durch die EZB, Anm.) verwenden. Sie würde griechisches Geld heranziehen, um griechische Rechnungen zu bezahlen. Das wäre ein wichtiges Zeichen, dass es vor dem Referendum keinen Zahlungsausfall gibt. Man würde dem Rest der Welt auch signalisieren, dass es sich um ein europäisches Problem handelt, das die Eurogruppe abschirmen kann. Ich weiß nicht, ob das passiert, aber es sollte passieren.

STANDARD: Aus den USA kamen immer die Rufe, die Eurozone müsse mehr unternehmen, um ihre Probleme zu lösen. Wie ist die Lage jetzt?

Kirkegaard: Es hat sich viel geändert. Es gab ursprünglich einen Konsens, dass es sich um ein Problem der Euroinstitutionen handelt, das diese lösen müssen. Mittlerweile ist die überwiegende Meinung – mit wenigen Ausnahmen, zu denen Paul Krugman gehört –, dass es sehr schwierig ist, mit der griechischen Regierung auszukommen. Ihre Verhandlungstaktik hat die Glaubwürdigkeit Athens untergraben. Daher gibt es zwar große Bedenken, ob das Land in der Eurozone verbleiben kann, aber erhebliche Zweifel, dass die Regierung überleben wird. In den USA hat man erkannt, dass die Probleme mit der aktuellen Regierung verbunden sind.

STANDARD: Mangelndes Krisenmanagement der Eurozone wird in den USA nicht ebenso empfunden?

Kirkegaard: Nein, die Angebote an Griechenland waren ziemlich großzügig und flexibel. Dass Athen das alles mit der Ankündigung einer Volksabstimmung platzen ließ, lässt die Regierung in keinem guten Licht erscheinen.

STANDARD: Aber Athen hat auch einiges vorgelegt.

Kirkegaard: Wie kann es sein, dass es fünf Monate dauert, um einen derart schrecklichen Vorschlag auf den Tisch zu legen? Die Maßnahmen wären für die griechische Wirtschaft eine Katastrophe. Das ist eine einzige Steuererhöhung. Nun Unternehmenssteuern anzuheben würde man eher von einer kommunistischen Regierung erwarten. Der Währungsfonds hatte mit seiner Ablehnung der Vorschläge vollkommen recht, weil deren Umsetzung die Konjunktur zusätzlich belastet hätte. (Andreas Schnauder, 1.7.2015)