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Obstbäume rund um eine Datscha vor Moskau.

Im Gegensatz zu den Anglizismen haben es nicht viele russische Worte in die deutsche Sprache geschafft: Der Wodka für den Hochprozentigen, die Soljanka für die Resteverwertung in Form einer Suppe und die Datscha (mitunter auch Datsche) für das Häuschen im Grünen gehören dazu.

Alle haben sie eins gemeinsam: Sie stehen für etwas typisch Russisches (auch wenn die Polen bis heute die Erfindung des Wodkas für sich beanspruchen). Moskau – die Millionenmetropole ist nicht russisch, sondern international: europäische Gehälter, japanische Restaurants (mit usbekischem Personal) und Finanztürme im gläsernen amerikanischen Architekturstil.

Zubrot durch Gurken und Zwiebeln

Das richtige Russland beginnt außerhalb des Moskauer Autobahnrings MKAD. Es beginnt mit der Datscha, oder genauer schon auf dem Weg dorthin, wenn sich die Moskauer am Freitagabend in die überfüllten Nahverkehrszüge quetschen oder stundenlang durch den abgasverpesteten Stau quälen, um an die frische Luft zu gelangen.

Natürlich gibt es auch die Villensiedlungen im Moskauer Umland mit hohen Mauern, strenger Wache und viel Luxus. Doch die klassische Datscha ist kein Luxus, sondern Arbeit. Viele Russen bauen auch heute noch auf der Datscha Obst und Gemüse an. Gerade für die Pensionisten sind die Sommermonate eine gute Gelegenheit, ihre karge Rente mit der eigenen Ernte zu entlasten und sich gegebenenfalls durch den Verkauf von Gurken, Zwiebeln oder Blumen ein kleines Zubrot zu verdienen.

Vom Lebensgefühl zur Notwendigkeit

Zu Sowjetzeiten nutzten die Russen ihre 600 Quadratmeter, um gegen das ständige Defizit in den Läden anzukämpfen. Eingelegte Gurken und eingekellerte Kartoffeln hielten auch über den Winter. In den 1990er-Jahren, als der Staat alle Verpflichtungen gegenüber seinen Bürgern zu vergessen schien und Lehrer, Beamte und Rentner monatelang kein Geld sahen, war die Datscha als Produktionsstätte lebensnotwendig.

Nach dem Aufschwung in den 2000er Jahren nutzte der zunehmende Mittelstand die Datscha eher als Erholungsort mit Rasen, Schaschlik und Banja nach einer anstrengenden Woche, doch vor allem die Babuschki trauten dem Frieden nie und bauten weiter Kohl und Rüben an.

Die jetzige Krise scheint ihnen Recht zu geben: Das Lebensmittelembargo hat die Preise in den Supermärkten in astronomische Höhen befördert. Und so wird die Datscha wohl auch weiterhin ihren festen Platz im russischen Leben haben. (André Ballin aus Moskau, 7.7.2015)