Während männliche Labormäuse mit Paarungsritualen beginnen, kaum dass sie ein Weibchen sehen, muss die männliche Wildmaus sich erst entscheiden: Kämpfen oder paaren, das ist hier die Frage.

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Wien – Schon seit einigen Jahrzehnten ist bekannt, dass Mäuse nicht nur für uns Menschen hörbare Laute von sich geben, sondern auch Rufe erzeugen können, die im Ultraschallbereich und damit außerhalb unserer Wahrnehmung liegen. Auf allzu großes Interesse stieß diese Erkenntnis bisher nicht, nahm man doch an, dass die kleinen Nager nicht allzu viel zu sagen hätten. Das änderte sich schlagartig, als sich kürzlich herausstellte, dass Mäusemännchen Ultraschallsequenzen hervorbringen, die in ihrer Komplexität an den Gesang mancher Vögel heranreichen.

In einem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt untersuchen Dustin J. Penn und Sarah Zala vom Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität Wien das Phänomen Mäusegesang. Die Bezeichnung ist nicht so absurd, wie es auf den ersten Blick scheinen mag: Als Penn einer Gruppe von Ornithologen eine verlangsamte und damit hörbar gemachte Wiedergabe eines singenden Mäuserichs vorspielte, dachten alle zunächst an einen Vogel – den freilich niemand erkennen konnte, weil es sich um einen Säuger handelte. Noch dazu um "das am besten untersuchte Tier der Welt", wie Penn betont.

Ganz so gut allerdings auch wieder nicht, denn praktisch alle bisherigen Studien befassten sich mit Labormäusen, und diese unterscheiden sich massiv von ihrer wilden Stammform; unter anderem sind sie deutlich beherzter: "Wenn Sie bei Labormäusen den Käfig offen lassen", erzählt Sarah Zala, "trauen die sich mit Mühe, ihren Platz ein Stückchen zu verlassen. Wilde Mäuse sind weg, bevor Sie schauen können." Auch in ihren Beziehungen zwischen den Geschlechtern zeigen sich Unterschiede: "Wenn man ein Labormännchen zu einem Laborweibchen in einen Käfig setzt, fängt es sofort mit Werbungsverhalten an", weiß Penn, "die Wildmäuse hingegen müssen sich erst entscheiden, ob sie nicht eher miteinander kämpfen, und brauchen etwa fünf Tage, bis sie sich verpaaren."

Der soziale Status

So nützlich Labormäuse daher in vielen anderen Fragestellungen sind, für die Erforschung der Lautgebung sind sie nicht geeignet. "Wir wollen die ökologische Bedeutung der Ultraschallgesänge untersuchen", erklärt Penn, "das können wir nicht an Tieren, deren Verhaltensrepertoire durch jahrzehntelange Zuchtwahl eingeschränkt und verändert wurde." Stattdessen arbeiten er und Zala mit Wildfängen und deren Nachkommen. Bisher wurden nur die Männchengesänge und deren Rolle beim Sexualverhalten untersucht. Wie sie genau wirken, soll im laufenden Projekt näher untersucht werden. "Wir wollen wissen, ob der Gesang eines einzelnen Männchens Informationen über seinen Zustand enthält, etwa seine Gesundheit oder seinen sozialen Status", erklärt Penn, "und natürlich, ob er das Verhalten der Weibchen beeinflusst."

Wie Penn und seine Mitarbeiter außerdem nachweisen konnten, unterscheiden sich die Gesänge der Mäuseriche individuell, und die Rufe von Brüdern ähneln einander mehr als jenen nichtverwandter Männchen. Playback-Experimente haben ferner gezeigt, dass Weibchen die Ultraschalllaute nichtverwandter Männchen jenen von Verwandten vorziehen – und zwar auch dann, wenn sie ihre Brüder noch nie haben singen hören. Deren Gesang wiederum scheint in erster Linie genetisch vorgegeben zu sein: Nicht nur rufen Wildmäuse höher als Laborexemplare, verschiedene Laborstämme unterscheiden sich auch in ihren Ruffrequenzen, und Mischlinge zwischen einzelnen Stämmen rufen häufiger als andere.

Im Unterschied zu Vögeln, die einen guten Teil ihrer Lieder durch Imitation des Vaters erlernen, scheint Lernen bei den singenden Mäuserichen keine Rolle zu spielen: Auch Tiere, die ihr ganzes Leben lang taub waren, erzeugen Ultraschallgesänge, und sogar Individuen, die ohne Großhirn auf die Welt kommen, sind dazu imstande. Auch wenige Tage alte Mäuse, die noch nackt, blind und taub sind, geben, wenn ihnen kalt ist oder sie sich fürchten, Ultraschallrufe von sich, die die Mutter dazu bewegen, sich um sie zu kümmern.

Es ist gut möglich, dass im Laufe der Evolution die Männchen auf diese akustische Empfänglichkeit der Weibchen "aufgesprungen" sind und sie nun für die Zwecke der Fortpflanzung nutzen. Allerdings gibt es bisher keinen Nachweis dafür, dass das Singen den Fortpflanzungserfolg eines Männchens erhöht.

Vor die Wahl zwischen Sängern und Schweigern gestellt, bevorzugen Weibchen zwar die Ersteren, paaren sich jedoch unter Käfigbedingungen auch problemlos mit Männchen, die keine Ultraschalllaute von sich geben können. Außerdem singen zwar die meisten Männchen, wenn man sie mit dem Duft von Weibchen konfrontiert, aber durchaus nicht alle.

Mit der Rolle von Pheromonen bei der Mäusefortpflanzung, die bislang als einzige Informationsquelle dabei gegolten haben, beschäftigt sich ein zweites Projekt, das ebenfalls vom FWF finanziert wird. Penn hofft, dessen Ergebnisse letztendlich mit seinen zu verschneiden, um zu sehen, wie die beiden Wahrnehmungsebenen zusammenspielen. Denkbar wäre für ihn zum Beispiel, dass die Weibchen Information, die ihnen auf der Geruchsebene fehlt, mit akustischer ergänzen. (Susanne Strnadl, 4.7.2015)