Bild nicht mehr verfügbar.

Yanis Varoufakis, Finanzminister und Spieltheoretiker.

Foto: Reuters/Herman

Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat sich als Ökonom intensiv mit Spieltheorie beschäftigt – jenem Forschungsgebiet über rationale Entscheidungsmodelle in sozialen Konfliktsituationen, die vom Pokerspiel bis zum Kampf gegen den Klimawandel reichen können.

Wir wissen nicht, ob Varoufakis in den Verhandlungen mit den Europartnern tatsächlich Spieltheorie angewandt hat. Aber wenn er es tat, dann hat er sich ganz offensichtlich verrechnet.

Falsche Annahmen

Der Fehler war weniger eine falsche Kalkulation als falsche Annahmen über die Ängste, Wünsche und Präfenzen der anderen Eurostaaten. Denn jedes spieltheoretische Modell ist nur so gut wie die Daten und Fakten, mit denen es gefüttert wird.

Ich bin zwar kein Experte in Sachen Spieltheorie, habe aber dennoch versucht, die griechischen Annahmen und die Realität des Konflikts in Modellen darzustellen. Wenn diese Werte halbwegs stimmen, helfen sie zu verstehen, wie die Syriza-Regierung gehandelt hat und warum sie damit zu scheitern droht.

Spieltheoretische Modelle werden meist in Matrixform dargestellt. Zwei Spieler haben je zwei Optionen, die ihnen unterschiedliche Auszahlungen ("payoffs") liefern. Die Gewinne oder Verluste (jeweils links unten und rechts oben für die beiden Parteien) hängen nicht nur von der eigenen Entscheidung, sondern auch von der des Gegners ab.

Angst vor Grexit wie 2012

Syriza ging davon aus, dass die anderen Eurostaaten so wie schon 2012 einen griechischen Staatsbankrott und einen Grexit unter allen Umständen verhindern wollen, weil sie um die Zukunft der Währungsunion fürchten. Sie verknüpfen daher die Fortsetzung des Hilfsprogramms mit Sparauflagen für Griechenland, würden aber eher Hilfsgelder ohne Sparkurs – bzw. mit einem stark aufgeweichten Sparkurs – auszahlen, bevor sie den Grexit riskieren.

Wenn es in einer solchen Konstellation der Regierung von Alexis Tsipras gelingt, sich auf ein Ende des Sparkurses festzulegen, dann müssten die Europartner einknicken – so die Kalkulation, die die folgende Grafik zeigt.


Welche Box ist für wen wünschenswert? Die Eurogruppe schneidet am besten links oben ab – 10 Punkte bei Hilfsprogramm mit Sparkurs –, Griechenland rechts oben – 10 Punkte für Hilfe ohne Sparkurs. Beide Seiten aber wollen unbedingt ein Hilfsprogramm, denn ohne es droht der Grexit (Box rechts unten). Sparkurs ohne Hilfe (Box links unten) ist übrigens keine realistische Option.

Stabiles Nash-Equilibrium

Ein griechischer Spieltheoretiker wird nun versuchen, die Option Sparkurs endgültig auszuschließen. Dann haben die Europartner nur noch die Wahl zwischen den beiden rechten Optionen. Und da ist die obere (Hilfe ohne Sparkurs) besser als die untere (Grexit).

Weil keine der beiden Seiten eine Möglichkeit hat, ihre Position durch einseitige Handlungen zu verbessern, spricht man von einem Nash-Equilibrium. Das ist nicht unbedingt befriedigend, aber stabil.

Eine Festlegung auf eine Option kann zum Beispiel durch einen demokratischen Volksentscheid erfolgen, der in Verhandlungen nur schwer rückgängig gemacht werden kann. Daher passt das geplante griechische Referendum am Sonntag in eine spieltheoretische Strategie.

Andere Rechnung

Aber was ist, wenn gewisse Annahmen nicht stimmen? Wenn etwa eine Auszahlung eines Hilfspakets ohne Verpflichtung auf einen Sparkurs für die Eurogruppe die schlechteste Option wäre, weil das Schule machen könnte – während sie glaubt, mit einem Staatsbankrott und einem Grexit fertig werden zu können? Dann würde die Rechnung anders aussehen, zum Beispiel so:


Jetzt sitzt die Eurogruppe auf dem längeren Ast: Der Grexit wäre für Griechenland schlimmer als für die anderen Eurostaaten; und für diese wäre er besser als ein Nachgeben gegenüber der Tsipras-Regierung.

Das optimale Ergebnis ist nicht stabil

Das spieltheoretisch stabile Nash-Equilibrium ist rechts unten. Allerdings ist das nicht das für beide Seiten beste Ergebnis. Das liegt links oben: eine Einigung auf Hilfsprogramm und Sparkurs.

Diese Konstellation benötigt allerdings den Willen zur Zusammenarbeit von beiden Seiten. So darf die Regierung Tsipras nicht einseitig vom Sparkurs abweichen, weil sie sich davon Vorteile erhofft. Denn dann – das haben die Partnerstaaten klargestellt – gibt es keine Hilfe, und man landet wieder beim Grexit.

Der Ball liegt in diesem Modell bei Tsipras und Varoufakis, die sich zwischen Sparkurs und Grexit entscheiden müssen. Das sind keine guten Aussichten für die Syriza-Regierung. Aber Spieltheorie zu verstehen heißt noch lange nicht, dass man dabei gewinnt. (Eric Frey, 1.7.2015)