Graz – Deutschland, Österreich, Schweiz: In allen drei Ländern wird deutsch gesprochen – mit Unterschieden. Deutsch gehört zu den sogenannten plurizentrischen Sprachen, die sich – wie übrigens alle großen Sprachen der Welt – in mehrere, theoretisch gleichberechtigte, Varietäten gliedert. Das Phänomen des sprachlichen Plurizentrismus diskutieren ab dem 8. Juli internationale Wissenschafter in Graz.

"Hocker", "Stockerl", "Taburett" – welche dieser Bezeichnungen für ein und die selbe einfache Sitzgelegenheit ist in Deutschland, Österreich und der Schweiz geltende Norm, welche nicht und warum nicht? Rudolf Muhr, Linguist an der Universität Graz sieht das pragmatisch: "Die Sprache verfügt über mehrere Standardvarianten. Sprachliche und kommunikative Unterschiede zu anderen Varietäten liegen in unterschiedlichen Lebensverhältnissen, in der spezifischen sozialen Realität der einzelnen Länder und der spezialen Identität ihrer Sprecher."

Was Standard und was Dialekt ist

Zwischen den jeweiligen Standardvarietäten bestehe meistens eine gewisse Asymmetrie, das heißt, dass es einige "große" und "nicht so große" Varietäten innerhalb einer plurizentrischen Sprache gibt. "Die Sprecher der 'dominanten ' Varietäten würden dazu tendieren, die anderen Standardnormen als 'dialektal' zu betrachten", so Muhr, der die Forschungsstelle Österreichisches Deutsch an der Uni Graz leitet.

Dieses Phänomen würde beispielsweise für das "Österreichische Deutsch" und das "Schweizerische Deutsch" im Bezug zum dominierenden "Deutschländischen Deutsch", wie es Muhr nennt, zutreffen. Das habe unterschiedliche Konsequenzen für die "nicht-dominanten" nationalen Varietäten in Bezug auf u.a. die Identität ihrer Sprecher, auf die Behandlung von Normen in Wort und Schrift bis hin zur Frage, wie Lehrer in Schulen mit der Polyzentrik umgehen sollen, ob nicht-dominante Varietäten an die jüngeren Generationen weitergegeben werden können und sollen.

35 plurizentrische Sprachen

Laut Muhr gibt es weltweit rund 35 Sprachen, die als plurizentrisch gelten können und in etwa 50 bis 60 Ländern der Welt gesprochen werden: "Das Deutsche ist kein Einzelfall. Zu den plurizentrischen Sprachen zählen neben Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch unter anderem auch Armenisch, Arabisch, Chinesisch, Koreanisch, Indonesisch oder auch Niederländisch", so der Linguist.

Vor rund fünf Jahren wurde von Muhr eine internationale "Arbeitsgruppe für nicht-dominante Varietäten plurizentrischer Sprachen" gegründet, die sich u.a. mit den Ausprägungen und Besonderheiten der Varianten aber auch ihre gesellschaftliche Stellung, Normierung und Kodifizierung widmen. Die jüngsten Forschungsergebnisse sollen ab dem 8. Juli in Graz diskutiert werden. (APA, red, 29.6.2015)