In der Griechenland-Krise ist nach dem Scheitern der Verhandlungen am Wochenende die Stunde der Schuldzuweisungen gekommen: Viele machen die chaotische Tsipras-Regierung für die Verschärfung der Krise verantwortlich, manche die starrköpfigen Finanzminister der Eurogruppe, andere wiederum beide.

Aber es gibt auch eine grundsätzliche Erklärung dafür, warum Griechenland an diesem Punkt – geschlossene Banken, Wirtschaftschaos, Angst vor dem völligen Absturz – angelangt ist. Die Lage ähnelt auf frappante Weise der Situation in Argentinien Anfang 2002. Das ist kein Zufall: Beide Staaten hatten sich wegen ihrer anhaltenden ökonomischen Probleme für ein System festgezurrter Wechselkurse entschieden – die Argentinier für die 1:1-Parität mit dem Dollar, die Griechen für den Eintritt in die Eurozone.

Beide Staaten hatten gehofft, mit einer festen Bindung an ein Land mit starker Währung – die USA oder Deutschland – ihre hohe Inflation zu bändigen, Kapital anzuziehen und vor allem die hohen Zinsen auf die Staatsschulden zu senken. Und beide hatten damit einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, der allzu leicht in der ökonomischen Hölle endet. Das war schon in den 1930er-Jahren der Fall, als das Festhalten am internationalen Goldstandard vor allem in den USA und Deutschland aus einem Börsenkrach eine Weltwirtschaftskrise machte.

Feste, unveränderbare Wechselkurse – und nichts anderes bedeutet eine Währungsunion – sind eine schicksalsträchtige Entscheidung für ein Land. Wer sich darauf einlässt, gibt zentrale wirtschaftspolitische Instrumente aus der Hand: die Möglichkeit, die Zinsen zu bestimmen, eigenes Geld zu drucken und die Währung abzuwerten, wenn die Importe die Exporte übersteigen und das ausländische Kapital ausbleibt, um ein solches Leistungsbilanzdefizit zu finanzieren. Erfolg haben in einem solchen System nur solche Staaten, die beim Budget, bei der Verschuldung und ihren Lohnkosten hohe Disziplin bewahren.

Tun sie das nicht, kommt es früher oder später zur Krise; dann bleibt nur die Wahl zwischen einem schmerzhaften Sparkurs, der zur Massenarbeitslosigkeit führt, und dem Austritt aus dem Wechselkursregime, der die Banken ruiniert und das Land vorübergehend in den Abgrund stürzen lässt.

Argentinien hat um die Jahrtausendwende zuerst das eine und dann das andere durchgemacht. Griechenland ist jetzt an dem Punkt angelangt, an dem es sich zwischen den beiden Wegen entscheiden muss. Doch der Syriza-Wahlsieg war eine klare Absage an den Sparkurs, und Premier Alexis Tsipras ist politisch daran gebunden. Daher steht selbst bei einer Einigung in letzter Sekunde der Grexit weiterhin vor der Tür. Diesen haben US-Ökonomen wie Paul Krugman schon seit Anbeginn der Eurokrise vorausgesagt.

Wer von Deutschland und seinen Verbündeten verlangt, Athen den Verbleib in der Eurozone ohne Austerität zu erlauben, übersieht eines: Die Stabilität, die sich Griechenland einst vom Euro erhoffte, hatte sich Deutschland mit jahrzehntelanger Disziplin aufgebaut. Es ist unvorstellbar, dass die Deutschen diese Glaubwürdigkeit nun aufs Spiel setzen, indem sie weniger "deutsch" agieren – selbst wenn keynesianische Logik kurzfristig eine andere Politik nahelegt.

Eine positive Folge hat die aktuelle Krise doch: Alle Eurostaaten sehen noch klarer, vor welcher Wahl sie stehen. Nur bei einer Politik ohne Illusionen kann die Eurozone bestehen. (Eric Frey, DER STANDARD, 30.6.2015)