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Anstehen für 60 Euro am Tag vor dem Bankomaten. Ein Bankenrat entscheidet über Überweisungen ins Ausland.

AP / Daniel Ochoa de Olza

Eine griechische Woche beginnt normalerweise eher langsam. Der Berufsverkehr flaut morgens gleich wieder ab, die kleinen Geschäfte schließen schon ab Mittag. Aber diese Woche in Athen ist alles andere als normal. Im Supermarkt an der Ecke ist Hochbetrieb. Familienmütter schieben Einkaufswagen zu den Kassen, turmhoch aufgeschichtet mit Lebensmitteln, als ob Ostern und Weihnachten in einem vor der Tür stünden. Die Regale mit den Nudeln sind fast leer. "Ja klar, wegen der Krise", sagt eine junge Griechin, zuckt mit den Schultern und wirft ein paar der letzten Makkaronipackungen in den Korb. Auch Salz, Reis und Mehl sind weg. "Die Leute dramatisieren wieder", sagt ein junger Mann und lacht. "Schauen Sie auf die Börsen: Wenn die Chinesen fünf Prozent plus machen, heißt es, Griechenland bleibt im Euro."

Diese Börsenlogik scheint den meisten Griechen jetzt aber nicht einzuleuchten. Überall stehen sie Schlange: vor den Supermarktkassen, vor den Geldautomaten, vor den Zapfsäulen der Tankstellen, so, als ob jemand eine unsichtbare Stoppuhr über das Land gehängt hätte. 60 Euro Tageslimit am Geldautomaten und morgen vielleicht schon gar nichts mehr? "Es ist kein Problem", versichert eine Frau, die vor einer Filiale der Piräus-Bank steht und auf ihr Euro-Taschengeld wartet. "Also, jetzt nicht. In ein paar Tagen ist das anders", korrigiert sie sich. Die Börse in Schanghai schloss am Montag im Übrigen mit 3,34 minus.

Bargeld im Gepäck

Viele Touristen lässt die Bankenschließung unberührt. "Wir haben genug Bargeld mitgenommen", sagt Fanny, eine junge Schweizerin aus Neuchâtel, die mit zwei Freundinnen nach Athen gekommen ist. Die Eltern haben darauf gedrängt. Drei junge Australier, baumlange Burschen, die mit einer organisierten Reise in Griechenland unterwegs sind, finden die ganze Finanz- und Politkrise dann doch etwas merkwürdig. "Am Ende ist es ein fremdes Land, und man will sich doch sicher fühlen", sagt Grant, einer der drei von Down Under.

Ein anderer Tsipras

Es ist schon Mitternacht in Athen, als die Details der Kapitalverkehrskontrollen durchsickern: 60 Euro für die Griechen, keine Beschränkungen für die Touristen, ein Bankenrat entscheidet von nun an über Überweisungen ins Ausland. Griechenlands linksgeführte Regierung sitzt wieder am großen Kabinettstisch, draußen vor der Villa Maximos warten die Übertragungswagen der TV-Sender. Alexis Tsipras hat zuvor schon in einer Fernsehansprache die Bankenschließung angekündigt. Die Eurogruppe und die Europäische Zentralbank hätten Griechenland zu diesem Schritt gezwungen, so erklärte er.

Es ist ein anderer Tsipras, den die Griechen sehen. Nicht der freundliche, schulterklopfende Tsipras von Brüssel, der wochenlang versicherte, die Einigung mit den Kreditgebern werde nun kommen. Jetzt spricht wieder der Linksrevolutionär. Tsipras trägt ein beigefarbenes Sakko und sitzt vor einer Bücherwand mit dicken roten Lederbänden. Nichts passt recht zusammen. Zwei kleine Mikrofone sind schnell an das Revers seiner Jacke gesteckt worden, das eine höher als das andere. Dann beginnt Tsipras zu wettern. Die rechte Hand ruht auf der Tischplatte, die linke geht auf und ab im Rhythmus der Schelte gegen die Europäer. "Sie werden keinen Erfolg haben", dröhnt Tsipras, "sie werden genau das Gegenteil bewirken." Wütend weist die Regierung am Montag auch die Kritik von Jean-Claude Juncker zurück. Sie zweifle an der Aufrichtigkeit des EU-Kommissionspräsidenten, bestellt sie nach Brüssel.

Tsipras hat die Augen schon auf sein nächstes Ziel gerichtet – die Volksabstimmung am Sonntag. Dann sollen die Griechen Nein sagen zu einem Finanzabkommen, das die Gläubiger vorschlugen, aber das es so schon nicht mehr gibt: Am Dienstag um Mitternacht verfallen die letzten Mittel des Kreditprogramms von 2012. Dienstag ist auch der Tag des großen Zahlungsausfalls. 1,6 Milliarden Euro bleibt Griechenland dann dem Internationalen Währungsfonds schuldig.

Protest gegen "Erpressung"

Syriza, die regierende Linkspartei, zieht dafür alle Register: Der öffentliche Transport in Athen ist die ganze Woche gratis. Am Abend wird vor dem Parlament demonstriert, eine große Kundgebung gegen die "Erpressung" und die "Erniedrigung" durch die Kreditgeber. Das Referendum, so versucht ein Syriza-Minister den Bürgern weiszumachen, sei eine "andere Art der Verhandlung".

Vassiliki Georgiadou glaubt das alles keine Sekunde. "Es gab von Anfang an einen Plan B bei Syriza. Das verstehen wir erst jetzt", sagt die Athener Politikprofessorin. "Wir dachten zuerst alle – auch ich -, es wäre einfach unvorstellbar, dass sich Tsipras nicht mit unseren europäischen Partnern einigen würde. Aber in den vergangenen zwei, drei Wochen, als dieses Hin und Her begann, hat sich auch das Vokabular von Tsipras geändert. Es gab diese moralisierenden Monologe von Varoufakis über die Hoffnung und die Würde." Tsipras und sein Finanzminister Yanis Varoufakis, so glaubt die Professorin, hätten auf den Bruch mit den Kreditgebern hingearbeitet. Syriza hänge anderen Vorstellungen nach, sagt sie: "Das prorussische Milieu der Partei glaubt, es gibt auch andere Optionen für Griechenland als die EU." (Markus Bernath aus Athen, 29.6.2015)