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Jodie Taylor (links) brachte England gegen Kanada schon früh auf Kurs Richtung Semifinale.

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Silvia Neids Frauen entfernten Frankreich in einer Manier, für die weiland die DFB-Herren berüchtigt waren.

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Montréal/Wien – Die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen in Kanada tritt von der entscheidende in die ganz entscheidende Phase über. Am Dienstag und Mittwoch (Ortszeit) stehen die Halbfinal-Spiele auf dem Programm.

Mit Titelverteidiger Japan, Deutschland und den USA (die Nummern eins und zwei der Weltrangliste) sind die großen Favoriten allesamt noch im Rennen, allein der vierte Halbfinalist, England, ist dazu geeignet, so manche Augenbraue nach oben wandern zu lassen.

Und doch. Das bisherige Geschehen auf den nordamerikanischen Kunstrasenfeldern lässt Veränderungen der globalen Kräfteverhältnisse deutlich werden. Das Feld ist enger zusammengerückt, die Leistungsdichte hat trotz der Aufstockung von 16 auf 24 Teilnehmern zugenommen. Neulinge wie Costa Rica, Kamerun oder die Niederlande machten durchaus gute Figur. Südkorea und Kolumbien schafften ihren ersten Sieg bei einer Endrunde.Von wenigen Ausnahmen abgesehen fielen die Ergebnisse knapp aus. Nur Japan und Brasilien kamen ohne Punkteverlust durch die Gruppenphase. Gleich darauf gelang den Australierinnen der Coup gegen die südamerikanische Equipe um die fünffache Weltfußballerin Marta.

Französische Offenbarung

Auch innerhalb Europas wurden Verschiebungen der Tektonik offensichtlich. Die Pionierinnen aus Skandinavien verlieren weiter an Boden. In allen bisherigen Turnieren stand am Ende immer ein Vertreter aus dem Norden unter den besten Vier – das geht sich diesmal nicht mehr aus. Schweden, traditionell hoch gehandelt und bereits zweimal mit Bronze dekoriert, scheiterte im Viertelfinale sang- und klanglos an einer keineswegs überragenden deutschen Elf. In der Vorrunde hatte die Auswahl von Trainer-Routinier Pia Sundhage keinen Sieg zustande gebracht. Ex-Weltmeister Norwegen zog, allerdings als klar besseres Team, ebenda gegen die Engländerinnen den Kürzeren. Dänemark hatte sich erst gar nicht qualifizieren können.

Historische Spätstarter wie die Niederlande, Spanien oder die Schweiz konnten dagegen aufholen. Ganz besonders gilt das für Frankreich. Les Bleus zeigten in Kanada den mit Abstand attraktivsten Kick, fallweise grenzten die gerne direkt unternommenen Kurzpasskombinationen ans Spektakuläre. Camille Abily und Louisa Necib, die Regieführerinnen, ragten ebenso heraus wie die Sturm-Kolleginnen Marie Laure Delie oder Eldodie Thomis. Thomis, flinker Flügel von Olympique Lyon, war im so unglücklich verlorenen Viertelfinal-Kräftemessen mit Deutschland beste Frau auf dem Feld. Warum sie dieses beim Stand von 1:0 bereits in der 69. Minute hatte verlassen müssen, bleibt das Geheimnis von Teamchef Philippe Bergeroo.

Das neue Standing des französischen Frauen-Fußballs spiegelt sich auch im zunehmenden Prestige der Liga wider. Nach den USA und Deutschland stellte Frankreichs nationales Getriebe das drittgrößte Kontingent in Kanada. 35 Endrunden-Teilnehmerinnen üben ihren Sport derzeit in Frankreich aus. Olympique Lyon und Paris SG sind in der Champions League mittlerweile Stammgäste in den Endspielen. In fünf der letzten sechs Saisonen erreichte immer ein französischer Klub das Finale.

Volles Patschenkino

Das Spiel gegen Deutschland ließ in Gallien Rekorde purzeln: 4,1 Millionen FernseherInnen bei der Übertragung des Senders W9 bedeuteten nach FIFA-Angaben einen Höchstwert für ein Frauen-Länderspiel. In Deutschland saßen im Schnitt gar 7,5 Millionen vor der Röhre. Der Marktanteil lag bei hervorragenden 36,6 Prozent.

In den Stadien selbst ist der Zuschauerzuspruch stark schwankend. Während die Ränge bei Auftritten der Kanadierinnen voll sind, blieben bei so manch anderer Partie viele Plätze in den allerdings auch sehr großen Stadien frei. 24.594 Besucher im Schnitt zählte die FIFA für die Gruppenphase – auch wenn die Zahl der tatsächlich anwesenden Personen deutlich niedriger liegen dürfte, einen WM-Rekord sollten die Veranstalter am Ende wohl trotzdem vorweisen können.

Seit der ersten Frauen-WM im Jahr 1991 standen immer entweder die USA oder Deutschland im Endspiel, spielten dort aber noch nie gegeneinander. Diese Serie wird auch über 2015 hinaus Bestand haben, treffen die beiden zweifachen Champions doch im Halbfinale am Mittwoch (1.00 MESZ/ARD, Eurosport, ORF Sport +) in Montréal aufeinander.

Lauer DFB

Die Elf der abtretenden Langzeit-Bundestrainerin Silvia Neid hat zwar ein Fiasko wie bei der Heim-WM 2011 hintanhalten können, als man bereits im Viertelfinale am späteren Sieger Japan sich die Zähne ausgebissen hatte. Doch das DFB-Team blieb bisher blass, gegen Frankreich war zumindest in den ersten 45 Minuten gar Überforderung zu konstatieren. Neben einer spielerischen Linie fehlt in dieser Gruppe im Unterschied zu früheren deutschen Auswahlen auch die hervorstechende Einzelkönnerin.

Das könnte knapp werden im Klassiker gegen die USA, auch wenn auch die bisher noch nicht wirklich begeistern konnten. Wille, Wucht und eine starke Defensive sind die Markenzeichen der routinierten Auswahl (Altersschnitt 29). Seit 423 Minuten ist Torfrau Hope Solo schon ohne Gegentor. Die Deutschen stellen zwar nominell die erfolgreichste Offensive, von bisher 20 Treffern fielen allerdings 50 Prozent in nur einem Spiel, dem 10:0-Kanter gegen die Elfenbeinküste. Die Bilanz zwischen den Großmächten spricht eine deutliche Sprache: Von insgesamt 32 Duellen gewann die Deutschen sechs, 20-mal siegten die USA.

Edmontoner Kontraste

Im zweiten Semifinale in Edmonton (Donnerstag, 1.00 beim 2:1-Erfolg gegen die GastgeberinnenMESZ) wird aller Voraussicht nach ein Ringen zweier völlig konträrer Spielauffassungen zu besichtigen sein. Japan, die möglicherweise intelligenteste Truppe im Feld, setzt auf ein ausgeklügeltes, auf einem engmaschigen Flachpassgewebe basierendes System. Mit cleverer Raumaufteilung, technischer Beschlagenheit und immenser Laufbereitschaft gelingt es den Titelverteidigerinnen (Nummer vier der Welt) auch diesmal wieder, physische Nachteile mehr als wett zu machen. Das 1:0 im Viertelfinale gegen eigenartig mutlose Australierinnen, fiel zwar spät, schien aber doch irgendwie unvermeidlich.

Englands walisischer Teamchef Mark Sampson hingegen verordnet ein deutlich simplistischeres Vorgehen. Schnell und direkt wird der Weg nach vorne gesucht, der weite Ball auf die durchschlagskräftige Jodie Taylor keineswegs gescheut. Seine Gruppe besticht zusätzlich durch außergewöhnlichen Zusammenhalt und Kampfeswillen. Das Anrennen der von 54.000 Zuschauern angetriebenen Kanadierinnen, konnte beim 2:1 gegen die Gastgeberinnen durch eben diese Attribute schadlos überstanden werden.

Auf der Insel meint man mancherorts gar, gerade Zeuge eines historischen Vorgangs zu sein, welcher das Frauenspiel auf ein neues Level an Popularität katapultieren könnte. Auch hier hatten beachtliche 1,6 Millionen Menschen nächtens vor den TV-Geräten ausgeharrt, um sich schließlich am erst dritten Halbfinal-Einzug eines englischen Fußballteams bei einer WM erfreuen zu dürfen. Zuletzt gelang das den Mannen Bobby Robsons bei Italia '90. Damals galt, wir erinnern uns, ein gewisser Paul Gascoigne noch als vielversprechender Jungmann. (Michael Robausch – 30.6. 2015)