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Ein ganzes Land aufzugeben widerspräche dem Prinzip der europäischen Solidarität.

Reuters

Eine wirkliche Sympathentruppe ist Alexis Tsipras' Syriza eigentlich nicht: Bei Finanzminister Yanis Varoufakis hat sich der Bruce-Willis-Charme irgendwie abgenützt, zurück bleibt ein sichtbar eitler Mensch, dem man ohne weiteres zutraut, dass er seine Kollegen in Brüssel mit finanztheoretischen Belehrungen zu Tode nervt.

Tsipras selbst hat einen pointiert linkspopulistischen Wahlkampf geführt, um nun mit der extremen Rechten zu koalieren. Das ist auch alles andere als appetitlich.

Gespür für Widersprüche

Dass die Österreicher ein ganz gutes Gespür für die Widersprüchlichkeit, zum Teil dreiste Nonchalance, aber auch Amateurhaftigkeit der griechischen Verhandler haben, zeigen Umfragen in verschiedenen Medien: Da ist die Mehrheit dafür, Griechenland seine Schulden nicht zu erlassen, andererseits gibt es eine Mehrheit, die sich für den Verbleib Griechenlands in der Eurozone ausspricht. Man will kein weiteres Geld mehr in das hoch verschuldete Land pumpen, sieht aber keinen Anlass, nicht mehr in Griechenland zu urlauben. Man hat Mitleid mit den verarmten Griechen, will aber kein frisches Geld mehr geben.

Die Sache ist vertrackt, das ist wohl den meisten bewusst.

Woran liegt es aber, dass viele Menschen, die von sich selbst behaupten, mit linker Ideologie wenig bis gar nichts am Hut zu haben, wesentlich mehr Sympathie für die Griechen empfinden, denen "unser" (europäisches) Steuergeld "nachgeschmissen" wird, als für die EU-Finanzminister, die doch in unser aller Namen auf dieses Geld "aufpassen"?

Gute Geschichte versus Hochmut

Der Grund liegt wohl auch darin, dass die Griechen eine zu Herzen gehende Geschichte zu erzählen haben – von der schon fünf Jahre dauernden Rezession, einer immer schlechter werdenden Infrastruktur, darbenden Pensionisten, die keine Medikamente mehr bekommen, alleinerziehenden Müttern, die ihre Kinder aus Not der Jugendwohlfahrt übergeben.

Und auf der anderen Seite steht, sehr ablehnend, eine Riege von selbstzufriedenen Männern im Anzug (und eine "eisernen Lady", auch im Anzug), von denen man sich gut vorstellen kann, wie sie die suspekten Linken mit ihren komischen Ansichten von oben herab behandelten.

Zudem werden Schäuble, Schelling und Co wohl nur schwer erklären können, warum sie monatelang einen "Grexit" heraufbeschwören, den sie am Ende gar nicht beschließen können, weil die EU-Verträge keinen Austritt aus der Eurogruppe vorsehen. Da allein den Griechen vorzuwerfen, sie hätten im Laufe der Verhandlungen verdammt hoch gepokert, grenzt an Chuzpe.

Mangelnde Solidarität

Nicht besonders gut kam auch an, dass die Herrschaften zunehmend den Eindruck vermittelten, sie ließen, im Namen einer höheren politischen Verantwortung, ein ganzes Land vor die Hunde gehen. "Das geht nicht, so etwas macht man nicht, wo bleibt die europäische Solidarität", war vielfach zu hören – und auch zu lesen.

Das ist der Kern des Problems: Solidarität gab es schon nicht für Spanien und Portugal, als dort jeder zweite unter 30-Jährige keine Arbeit mehr fand und Mittelstandsfamilien ihre Wohnungen verloren. Solidarität gibt es auch nicht mit den Flüchtlingen, die oft nicht mehr als ihr Leben über das Mittelmeer retten – aber auch nicht mit den wenigen EU-Staaten, die sie aufnehmen.

Die Europäische Union versagt im Augenblick auf allen Linien darin, zu erklären, warum es sie überhaupt geben soll. Das "Friedensprojekt Europa" klingt immer mehr nach einer hohlen Hülle. Insofern hatte Varoufakis recht, als er nach dem Scheitern der Verhandlungen sagte, dies sei ein trauriger Tag für ganz Europa. (Petra Stuiber, 30.6.2015)