Diese Eskalation binnen weniger Stunden hatte niemand vorausgesehen: dass die griechische Regierung noch ein Referendum ansetzen und die Finanzminister der Eurogruppe das Hilfsprogramm tatsächlich auslaufen lassen würden. Am Freitagabend hatte es nach Abschluss des EU-Gipfels noch nach dem üblichen Brüsseler Drama ausgesehen: Verhandelt wird bis zur letzten Minute, um Details wird heftig gerungen, der eine gibt hier, der andere dort nach – und am Ende können sich beide Seiten als Gewinner präsentieren und das Ergebnis zu Hause als Erfolg verkaufen.

Diesmal gibt es nur Verlierer. Die Frage, wer schuld ist, ist nicht einfach zu beantworten. Wie bei einer Scheidung, bei der sich jede Seite bewusst ist, etwas zum Scheitern beigetragen zu haben, wenngleich dies nicht öffentlich eingestanden wird. Dabei hätte es viele Gelegenheiten gegeben, diesen Bruch zu vermeiden. Aber keine Seite hat sich so verhalten, wie es der andere Verhandlungspartner erwartet hat. Es ging häufig um Symbole statt Substanz. In Brüssel hat man keine gemeinsame Gesprächsbasis gefunden, kulturelle Unterschiede kamen stärker denn je zum Tragen. Dazu kamen politische Auffassungsunterschiede. Griechenland wurde zum Kampfgebiet für die Auseinandersetzung Keynesianismus versus Austerität.

Griechenlands Syriza-Regierung wollte von Anfang an das Regime der Geldgeber nicht akzeptieren, das Gesten der Unterwerfung, der Fremdsteuerung und des Diktats beinhaltete. Es begann damit, dass man die Troika nicht mehr ins Land ließ. Die Gläubiger, insbesondere der Internationale Währungsfonds (IWF), beharrten auf ihren vorgefertigten Plänen. Weil dieser Kurs in vielen Ländern weltweit so durchgezogen wurde, konnte es auch für Griechenland keine Ausnahmen geben.

Erst langsam setzte sich die griechische Regierung mit ihrem Anliegen durch, dass man genauer hinschaute und berücksichtigte, wie viel schon gespart wurde und wie sehr es die Ärmsten in Griechenland traf und diejenigen, die in anderen Ländern als Mittelschicht gelten.

Da die griechische Regierung von Anfang an ein konkretes Konzept vermissen ließ und teilweise diffuse Vorschläge vorlegte, machte sie es sich und ihren Verhandlungspartnern schwer. Die vermeintlichen Anfangsschwierigkeiten erwiesen sich als längerfristiges Chaos – vielleicht auch als Kalkül.

Am Ende war Premier Alexis Tsipras aber zu massiven Einschnitten bereit, die einen Teil der Bevölkerung noch einmal hart getroffen hätten: Mehrwertssteuererhöhung, Eindämmung der Frühpensionierungen und eine Anhebung des Pensionsalters auf 67 – wozu die österreichische Regierung nicht bereit ist. Umgekehrt lehnte der IWF den Vorschlag ab, die Unternehmensbesteuerung anzuheben. So grub sich jede Seite mehr und mehr ein.

Es hätte in den vergangenen Monaten Möglichkeiten gegeben, ein Referendum über Reformvorschläge anzusetzen. Es zeugt von Panik, dass die Regierung dies erst am Samstag ankündigte und zu einem Nein riet. Worüber genau abgestimmt werden soll, ist unklar. Tsipras erklärte, das Ziel der Verhandlungen sei die "Erniedrigung eines ganzen Volkes". Umgekehrt wollten sich vor allem die Finanzminister nicht weiter vor- und an der Nase herumführen lassen.

Es geht um mehr als um Griechenland: um das Projekt EU, Werte wie Solidarität und den Umgang miteinander.

(Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 29.6.2015)