Bild nicht mehr verfügbar.

Bei Tag im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Nachts schlafen unter den Bäumen im Lager hunderte Flüchtlinge.

foto: apa/jäger

Bild nicht mehr verfügbar.

Caritas-Wien-Generalsekretär Klaus Schwertner fordert, dass in Sachen Asylquartiere rasch weiter verhandelt wird.

foto: apa/punz

Unlängst hat der Wiener Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner das Flüchtlings- Erstaufnahmezentrum Traiskirchen besucht. Als NGO-Vertreter war es zudem beim geplatzten Landeshauptleute-Gipfel zu den Asylquartieren anwesend.

STANDARD: Nach dem Asylquartier-Regierungsgipfel mit den Landeshauptleuten herrscht grobe Missstimmung zwischen SPÖ und ÖVP. Sie waren bei dem Treffen für die Caritas dabei. Was hat die Politiker derart gegeneinander aufgebracht?

Schwertner: Spürbar war, wie sehr sich alle politisch Verantwortlichen beim Asylthema fürchten: vor der eigenen Bevölkerung und vor den Rechtspopulisten, die das Land spalten wollen. Angesichts der derzeit größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg ist das aber fatal, weil Angst zu keinen Lösungen führt. Dabei wäre die Situation gerade in Österreich bewältigbar. Heuer werden 70.000 Asylantragsteller erwartet. Rund 40 Prozent, also etwa 28.000, erhalten Asyl. Das entspricht 0,35 Prozent der Bevölkerung. Das ist nicht viel, man muss sich den Aufgaben nur endlich stellen.

STANDARD: Aber das geschieht derzeit nicht?

Schwertner: Nein, vielmehr hält man an Länderquoten fest, obwohl sie in Zeiten steigender Ayslantragszahlen nachweislich nicht funktionieren. Hier wird mehr Verbindlichkeit notwendig sein. Beim Gipfel war ich wirklich bestürzt, dass sich die Politiker nicht vor den anwesenden NGOs geschämt haben. Man hätte im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen verhandeln sollen, wo hunderte Obdachlose unter freiem Himmel schlafen müssen.

STANDARD: Warum Obdachlose? Die Flüchtlinge in Traiskirchen sind immerhin im Erstaufnahmezentrum untergebracht.

Schwertner: Wie soll man es anders nennen, wenn hunderte Menschen keinen ordentlichen Schlafplatz haben? Wenn man ihnen je zwei Decken aushändigt, die sie morgens wieder zurückgeben müssen – und wenn abends Garagen, Wartesäle und der Kindergarten aufgesperrt werden, damit sie dort am Boden übernachten können?

STANDARD: Sie haben Traiskirchen jüngst besucht und konnten sich, anders als bei Führungen für Medienvertreter, alles anschauen. Was haben Sie gesehen?

Schwertner:Ich habe fast unter jedem Baum auf dem Areal schlafende, Wind und Wetter ausgelieferte Flüchtlinge gesehen. Bis zu 700 Menschen haben dort zurzeit weder ein Bett noch eine Matratze in einem Zelt – wobei in den Zelten übrigens auch Unter-18-Jährige, also Kinder, untergebracht sind. Aktuell nehmen wir in Traiskirchen Zustände in Kauf, wie wir sie aus Flüchtlingslagern in Jordanien oder im Nordirak kennen – im Österreich des Jahres 2015, im Herzen Niederösterreichs. Niederösterreich erfüllt seine Landes-Quartierquote übrigens nur samt den 700 Obdachlosen. Ohne Traiskirchen wäre das Land mit 66 Prozent Quoten-Schlusslicht.

STANDARD: Was tun, um Abhilfe zu schaffen?

Schwertner: Die verantwortlichen Politiker müssen schleunigst zurück an den Verhandlungstisch, denn die Lage in Traiskirchen ist eine Schande für Österreich. Warum man die vom Verteidigungsministerium angebotenen Kasernenplätze nicht in Anspruch nimmt, kann ich ebenso wenig nachvollziehen, wie warum man nicht längst statt Zelten mobile Wohneinheiten einsetzt.

STANDARD: Vielfach werden auch die Kirchen kritisiert, weil so viele Kloster leerstehen: Warum wohnen dort keine Flüchtlinge?

Schwertner: Sie tun es ja! In den vergangenen acht Monaten haben Caritas, Klöster und Pfarren tausend neue Quartierplätze geschaffen – und weitere werden rasch folgen.

STANDARD: Aber insgesamt gibt es viel zu wenig Plätze, weshalb Kanzler Werner Faymann weiter auf seinem Vorschlag, ein neues Bezirksquotensystem einzuführen, beharrt. Wär das ein Ausweg?

Schwertner: Es wäre grundsätzlich sinnvoll, denn auf Bezirksebene ist man – etwa bei Hochwasserkatastrophen – gewohnt, Krisen zu managen. Im Endeffekt ist es aber egal, ob es Länder-, Bezirks- oder Gemeindequoten gibt. Was zählt ist, dass schutzsuchende Männer, Frauen und Kinder flächendeckend menschenwürdig untergebracht sind.

STANDARD: Warum funktioniert das nicht?

Schwertner: Unter anderem, weil es kein Anreizsystem für Gemeinden gibt. Viele Bürgermeister fragen, wie sie zu zusätzlichen Schul- und Kindergartenplätzen kommen, wenn sie Flüchtlingsfamilien aufnehmen. Hier braucht es Hilfe und finanzielle Unterstützung der Gemeinden durch den Bund wie in Deutschland. Das Innenministerium muss hier den Bürgermeistern auch ein Stück weit entgegenkommen. Insgesamt benötigen wir eine Gesamtstrategie. Diesbezüglich bin ich zuversichtlich, denn im Gegensatz zur Politik ist die Solidarität in der Bevölkerung enorm. (Irene Brickner, 29.6.2015)