2014 wurde der verstorbene Gerd Bacher mit dem Concordia-Ehrenpreis für das Lebenswerk ausgezeichnet. Der frühere ORF-Journalist und Bacher-Freund Peter Huemer hielt die Laudatio auf den ehemaligen ORF-Generalintendanten. Hier Auszüge im Wortlaut:

Huemer über Bacher

Als ich im Jänner 1969 meine ersten Schritte in den ORF gesetzt habe, meinte ich zu spüren, dass ich mich hier im Zentrum der Republik befinde. Was nämlich davor seit Mitte 1967 geschehen war und mit dem Begriff "Informationsexplosion" zusammengefasst wurde, hatte mich fasziniert: Journalisten, die im Radio live aus aller Welt berichten, zuweilen auf krachenden Leitungen in schlechter Tonqualität, aber das war egal: Die Welt kam ins Zimmer!

Und dann 1968 die Radio- und Fernsehberichte über den Pariser Mai und den Prager Frühling und im August dessen dramatisches Ende. Und der ORF war dabei, so lange es ging. Und im November 1968 die amerikanische Wahlnacht, wobei der ORF auch noch das Glück hatte, dass es besonders knapp war zwischen Nixon und Humphrey, so dass die Entscheidung erst am frühen Vormittag fiel. Und alle redeten mehr über die Wahlnacht im ORF als über den Ausgang der Wahl, denn das eigentliche Ereignis war die Übertragung des ORF. Und es gab die Journale im Radio und – ganz wichtig! – es gab Ö 3 als – damals – anspruchsvollen intelligenten Jugendsender.

Es war überfällig, dass endlich die Fenster aufgestoßen wurden, und der ORF hat es getan. Der ORF war nicht nur das modernste Unternehmen des Landes, er war auch die Zentralanstalt für die Modernisierung des Landes. Dort zu arbeiten, machte stolz. Dass das alles gelingen konnte, war das Werk von vielen, aber im Zentrum steht der Name eines Mannes und wird immer dort bleiben: der Name Gerd Bacher. Helmut Zilk schreibt darüber – ich zitiere: "Vor Bacher waren Radio und Fernsehen kaputte Betriebe gewesen, ein Unternehmen, das von Politikern und von der Öffentlichkeit missbraucht und gedemütigt worden war. Als Fernsehmitarbeiter – ich habe ja auch diese Zeit (vor Bacher) miterlebt – ist man verlacht und verhöhnt worden."

Der Oberbesessene

Und noch einmal Helmut Zilk, Bachers erster Fernsehdirektor, über den Beginn im Jahr 1967: "Wir hatten 16- bis 18-Stunden-Tage, kannten keine Wochenenden und in den ersten zwei, drei Jahren auch keine Urlaube. Der Aufschwung, den der Rundfunk nahm, war die Folge des Zusammentreffens einiger Besessener mit einem Oberbesessenen. Und dieser Oberbesessene war Gerd Bacher."

1967, als Bacher begann, war unmittelbar vor 1968, dem Jahr der Studentenrevolte, die sich im Nachhinein als Kulturrevolution herausstellte, in deren Verlauf vieles Alte in die Luft flog. Und Bachers oberste Tugenden: Ordnung, Struktur, Disziplin wurden als Sekundärtugenden verhöhnt, während in den Kinderläden diskutiert wurde, ob die Kinder die Marmelade an die Wand schmieren dürfen.

Das heißt aber: Gerd Bacher, der wertkonservative heimatlose Rechte, passte entschieden nicht in diesen Zeitgeist. Er war dagegen. Und die aufsässigen Jungen, die vom ORF fasziniert waren und dort arbeiten wollten, standen gleichzeitig in wütendem Gegensatz zu Bacher selbst, ich ebenso, während mir schon bewusst war, was wir alle Bacher zu verdanken hatten. Das ist natürlich paradox – aber paradox war ja auch Bacher selbst: ein wirklicher Revolutionär, aber wirklich konservativ.

Es gab einen Menschen, der Gerd Bacher besonders viel zu verdanken hatte und der dann für einige Zeit sein mächtigster Gegenspieler wurde, nämlich Bruno Kreisky. Es ist vielleicht kein Zufall, dass Kreisky und Bacher fast gleichzeitig an Schaltstellen der Macht kamen: Kreisky wurde am 1. Februar 1967 Parteivorsitzender der SPÖ und Bacher am 9. März Generalintendant des ORF. Das Land war reif für Veränderung. Aber vielleicht war gerade deswegen der Konflikt zwischen den beiden vorprogrammiert, ist Hugo Portisch überzeugt, obwohl Kreiskys rascher Aufstieg zum Kanzler der Republik 1970 nach einem Vierteljahrhundert ÖVP-Dominanz ohne den ORF und die allmähliche Öffnung des Landes schwer vorstellbar ist.

"Mit dem Kopf durch die Wand"

Wir kommen nun zur Abwahl 1974, die wir korrekterweise als Sturz bezeichnen, der Bacher tief getroffen hat. Die entscheidende Abstimmung im Kuratorium des ORF zwischen Bacher und Oberhammer ging 15 : 15 aus und wurde lediglich auf Grund des für diesen Fall vorgesehenen Dirimierungsrechtes durch den Vorsitzenden zugunsten Oberhammers entschieden. Helmut Zilk schreibt im Geburtstagsbuch zu Bachers Sechziger, dieser sei selbst daran "nicht schuldlos" gewesen.

Der Bacher von 1967 bis 1974 sei nämlich ein Mensch gewesen, ich zitiere: "der gesagt hat, man muss mit dem Kopf durch die Wand." Und genau das glaube ich nicht – obwohl ich mir schon vorstellen kann, dass Bacher das einmal genauso gesagt hat, weil er die Sprache liebt und die starken Sprüche, so dass man ihm eine gewisse rhetorische Gemeingefährlichkeit nicht absprechen kann.

Gerd Bacher hat ganz bewusst den Eindruck erweckt, er wolle mit dem Kopf durch die Wand. Denn genau so wollte er gesehen werden: wie Gary Cooper in "High Noon" im Kampf gegen die Miller-Gang. Gleichzeitig kannte er aber die österreichische Realverfassung. Und er wusste auch, dass er nicht mit dem Kopf durch die Wand kommt – jedenfalls meistens wusste er es. Wäre das nicht so gewesen, wäre er noch viel öfter hinausgeschmissen worden als es ohnehin der Fall war. Und vor allem: Er hätte ohne praktische Vernunft nichts bewegen können.

Bachers Werk

Aber genau darum ging es ihm: etwas bewegen. Er hätte weder den ORF in der Form leiten können, dass der über Jahrzehnte als Bachers Werk galt, noch hätte er so viel zur Veränderung des Landes beitragen können. Aber gerade das wurde 1974 sein Verhängnis: dass Kreisky, der andere große Modernisierer, politisch konkurrenzlos, in Gerd Bacher seinen wichtigsten Gegenspieler zu erkennen meinte und daraus den Schluss zog, für zwei sei an der Spitze des kleinen Landes nicht Platz.

Wir überspringen die folgenden vier Jahre des Zwischenspiels, obwohl die durchaus nicht ereignislos waren: ein paar Wochen 1975 Chefredakteur des "Kurier", dann beinahe Programmdirektor des ZDF, was Bruno Kreisky, inzwischen Bachers Intimfeind, im letzten Augenblick mit einem Anruf beim deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt verhindern konnte, danach eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit Helmut Kohl im deutschen Bundestagswahlkampf 1976 und anschließend die Leitung des Salzburger Druck- und Verlagshauses Kiesel.

Und dann der 28. September 1978. Sie kennen wahrscheinlich die leicht blasphemische Formulierung, etwas sei das größte Comeback seit der Auferstehung von Jesus Christus. Das ist zwar immer übertrieben, aber im Falle Gerd Bachers geht es schon stark in diese Richtung. Niemand hatte ihm auch nur die geringste Chance auf Wiederwahl im ORF gegeben und gerade deswegen hatte er sie, weil in der regierenden SPÖ ein verrückter Machtkampf zwischen den sozialdemokratischen Kandidaten Zilk und Oberhammer ausgebrochen war, auf den alle gebannt gestarrt haben: Wer von beiden wird es? Und ich erinnere mich genau, dass ich gerade bei Franz Kreuzer im Büro saß, als dessen Sekretärin hereinplatzte und uns mitteilte: "Der Bacher ist es geworden."

Literarisch korrekt müsste es jetzt heißen: Kreuzer erbleichte. Ich hingegen begann buchstäblich wie blöd zu lachen, was Kreuzer derart wütend machte, dass er mich fragte, ob ich ein Idiot sei und nicht verstünde, was das für ihn als Intendanten und für mich als Chef des Club 2 bedeuten wird. "Ich versteh ́s schon", hab ich lachend erwidert, "aber komisch ist es trotzdem." Erinnert sei hier an die unvergessene Schlagzeile der inzwischen verblichenen Kärntner Tageszeitung: "Kreisky in Paris, Benya in Sofia, Bacher im ORF."

Ab dann schien allen im Haus mein Ende im Club 2 besiegelt. Doch ehe es dazu kam, bat ich um einen Termin bei Bacher, den ich ja persönlich bis dahin nicht kannte – und er mich schon gar nicht. Das Gespräch zwischen uns verlief gut – wider allgemeines Erwarten – und die Situation schien einigermaßen geklärt. Doch wenige Monate später kam uns Nina Hagen dazwischen, die Bacher in einem für mich erstaunlichen Ausmaß empörte. Später kam dazu noch der tragische Konflikt zwischen Bacher und seinem alten Freund Claus Gatterer, wo ich auf Gatterers Seite stand. Doch abgesetzt hat Bacher mich nie, das kam später und nicht von ihm.

Bacher gegen Dichand

Parallel zum Aufstieg des ORF vollzog sich der Aufstieg der Kronen Zeitung. Man kann es personalisieren als Konflikt zwischen den beiden mächtigsten Medienmachern des Landes: Bacher gegen Dichand. Wichtiger scheint mir: das Prinzip der Aufklärung einerseits, das Prinzip der Gegenaufklärung andererseits. Der Versuch möglichst umfassender Information, der notgedrungen nur unvollkommen gelingen kann, gegen Kampagnen, Populismus und Hetze. Gerade weil es die Dichand'sche Kronen Zeitung gab, war der Bacher ́sche ORF demokratiepolitisch wichtig.

Dazu kam, dass dieser ORF seinen Kulturauftrag unglaublich ernst genommen hat. Denken wir an die Verfilmungen von Turrini, Scharang, Mitterer, Henisch, Innerhofer, Wolfgruber, Zenker und anderer – zeitgenössische österreichische Literatur mit den besten Regisseuren des Landes im ORF. Und denken wir daran, dass der ORF Maßstäbe gesetzt hat in diesem Land mit seinem Erscheinungsbild: die Architektur von Rainer und Peichl, des Design von Sokol und Brody.

Dann die Abwahl Bachers 1986, sein zweiter Hinauswurf, und das neuerliche Comeback 1990. Diesmal war die Aufregung in der SPÖ weniger groß als 1978. Es wurden auch keine Verräter gesucht. Man hatte sich offenbar daran gewöhnt, dass Bacher so lange wieder kommt, bis er selber sagt: Jetzt ist es genug – was er 1994 auch tat, 27 Jahre nach seinem Amtsantritt.

"Gegen die totale Trivialisierung"

In seiner letzten Periode als Generalintendant sprach Bacher mit scharfem Blick auf das Kommende wiederholt jenes Thema an, das ihn bis heute bewegt. Ich zitiere aus seinen Reden: "Heute gilt es, gegen die totale Trivialisierung des Leit-Massenmediums zu programmieren. Im Konkurrenzkampf zwischen Trivialität und Anspruch ist der Anspruch stets im Nachteil." Und an anderer Stelle: "Unsere Branche, die einmal die Speerspitze der Aufklärung war, hat sich in den letzten Jahrzehnten einreden lassen, sie sei nur eine Unterabteilung der viel größeren Entertainment-Industrie." Dagegen Gerd Bacher: "Der Auftrag von Public Broadcasting ist, Identität zu stiften, dem Kulturellen im weitesten Sinn des Wortes eine massenhafte Basis zu schaffen." Das war und ist seine zentrale Botschaft.

Und so schwankt Gerd Bacher heute zwischen Zorn und Hoffnung, gilt den meisten im ORF als Mann von gestern, obwohl er ein Mann von morgen ist: weil der ORF nur dann überleben kann, wenn er im riesigen Konkurrenzfeld seinen Auftrag als öffentlich-rechtliches Medium wirklich ernst nimmt. Andernfalls verliert er seinen Sinn, verliert den Gebührenanspruch und wird nicht gebraucht. Und wenn er weg ist, werden wir wissen, was wir verloren haben. (Peter Huemer via APA, 28.6.2015)