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Gerd Bacher – Bild aus dem Jahr 2010.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Wien – Käme er noch einmal auf die Welt, würde er einen Beruf ergreifen, "dessen Ende ich selbst bestimmen könnte", sagte Gerd Bacher mit 80 dem Profil: "Dann wäre ich heute noch immer ORF-Generalintendant."

Den ORF zu führen hielt er über Jahrzehnte für "das Glück meines Lebens", erklärte er dem Standard 2011. 19 Jahre gelang ihm dieses Glück, fünf Funktionsperioden lang, zweimal nach politischen Ablösen wiedergewählt.

Am Samstag ist Gerd Bacher ist nur wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag an den Folgen eines Schlaganfalls in Salzburg gestorben.

Bedeutung für Österreich

Bachers Bedeutung für das Land beschrieb Brigitte Wolf zu seinem 80er: Er habe "die größte und wirkungsmächtigste Bewusstseinsmaschine der österreichischen Nachkriegsgeschichte" gebaut, lange bedient und bis heute geprägt. Es gibt keinen Einzelnen, der das kollektive Bewusstsein Österreichs stärker beeinflusst haben kann als Gerd Bacher", schrieb die Bacher-Kennerin und ORF-Landesdirektorin.

Unglück mit den Nachfolgern

Der Größe des Glücks entsprach Bachers Unglück mit den meisten Nachfolgern. Diese mussten mit einem ORF zurechtkommen, den Bacher über Jahrzehnte in diese Dimensionen gebaut hatte.

Zwei TV-Programme, die keinen Wunsch nach privatem Fernsehen aufkommen lassen. Bis weit in die 1990er-Jahre konnte Bacher, selbst zwischendurch in den Diensten von Sat.1, "verhindern, dass dieses qualitätsverschlechternde Unglück auch bei uns in Österreich einzieht". Neun Bundeslandradios und drei nationale Radios, darunter ein kommerzielles Popradio Ö3, lange vor Privatradios, und frühes Vorbild für manche von ihnen. Jedem Bundesland sein ORF-Studio, sein Landesdirektor, auch als direkter Ansprechpartner für den Landeshauptmann, dessen Landesregierung einen ORF-Aufsichtsrat entsendet, der bei einer Generalswahl die vielleicht entscheidende Stimme liefern kann. So pragmatische Wahltaktik muss kein Widerspruch sein zu Bachers Bild als Architekt eines unabhängigen ORF.

ÖVP und SPÖ nahmen den Rundfunk so unverforen in Besitz, dass Österreichs Zeitungen 1964 für ein Volksbegehren mobilisierten. 832.353 Menschen unterschrieben 1964, bis heute eines der erfolgreichsten, mit greifbaren Ergebnissen. Das Rundfunkgesetz von 1967 unter Bundeskanzler Josef Klaus. Dieser war für Bacher der einzige Politiker, dem es um den ORF ging und nicht nur darum, wie es ihm im ORF ging.

General ab 1967

Mit bürgerlichen Stimmen im ORF-Aufsichtsrat und der Unterstützung der volksbegehrenden Zeitungen wird Gerd Bacher 1967 General. Und verordnet dem ORF zuallererst eine "Informationsexplosion": Journalisten fragen und hinterfragen, statt Politikern wie bisher das Mikrofon hinzuhalten.

Klaus leitete denn auch die letzte ÖVP-Alleinregierung, Sozial demokrat Bruno Kreisky wusste geschickter mit den Medien umzugehen. Um den ihm allzu eigenmächtigen Bacher loszuwerden, lässt Kreisky eine Reformkommission ein neues ORF-Gesetz erarbeiten. Neues Gesetz, neue Wahl – das Prinzip wiederholt sich 2001 unter der schwarz-blauen Regierung, um Gerhard Weis an der ORF-Spitze loszuwerden. 2012 bereitete wieder eine Arbeitsgruppe im wieder rot geführten Kanzleramt eine ORF-Reform vor. Die Themen: Schluss machen mit Bachers Hebel, gegen Partei-Mehrheiten doch wieder ORF-Chef zu werden. Stets holte Bacher bei Generalswahlen ORF-Betriebsräte auf seine Seite, um zu gewinnen. Sie bestimmen – im Gegensatz etwa zu Aktiengesellschaften – gleichberechtigt mit Kapitalvertretern über ihre künftigen Chefs mit. Viele Betriebsräte wurden danach bald ORF-Direktoren, -Hauptabteilungsleiter oder auch über Nacht schuldenfrei. Aus der Reformarbeitsgruppe, die auch den Aufsichtsrat verkleinern sollte, wurde bis heute: nichts.

Wohl weil Bacher die Mechaniken so gut kannte, forderte er, als er in seinen Siebzigern nicht mehr General werden wollte, so vehement dessen Abschaffung.

Brillanter Denker und Redner

Nur auf den ersten Blick wirkt das wie Widerspruch für den brillanten Denker und Redner. Wie er 2010 den Fernsehvollprofi Gerhard Zeiler an die Spitze des ORF wünschte, über dessen Quotenkurs ab 1994 Bacher maßlos enttäuscht war. Kein Widerspruch, wie Bacher "Zeit meines Lebens ein fortschrittlicher Konservativer" war. Wie er die Kirche als "beste Erziehungsmaßnahme der letzten 2000 Jahre" sah, aber nicht recht an Gott glauben mochte. Deshalb hatte Bacher "große Schwierigkeiten", an ein Leben nach dem Tod zu glauben.

Bacher äußerte sich zuletzt kaum noch öffentlich, und über den ORF wollte er sich öffentlich nicht mehr ärgern.

Eine seiner letzten öffentlichen Reden hielt Bacher Anfang 2014 bei der Totenfeier für Verleger und Publizist Fritz Molden. "Fritz, du wirst uns furchtbar abgehen", rief er seinem Lebensmenschen bebender Stimme nach.

Wie furchtbar wird Bacher abgehen? Dem ORF, den Bacher nicht mehr daran erinnern wird, wie er sein könnte und sein sollte. Den Managern des ORF, den heutigen und künftigen, die Bachers so großen, vielleicht zu großen ORF nicht zuletzt mit seinen Strategien führen und mit seinen Taktiken versuchen, zu bleiben, was sie sind. Der Politik, die sein Ableben bedauern wird und sein Fehlen beklagen, und weiter das machen wird, was Bacher 1967 zu beenden versprochen hat. Kurzum: dem Land. (Harald Fidler, 28.6.2015)