Ein Vizekanzler, der dem Kanzler Regierungstauglichkeit abspricht; ein Kanzler, der einer Boulevardzeitung vorab mitteilt, was die Landeshauptleute beschlossen haben – die sich dann verweigern; ein Landeshauptmann, der den Kanzler vorführt und wegen schlechter Vorbereitung öffentlich rügt: Der Ton zwischen den Regierungspartnern SPÖ und ÖVP wird rauer und schriller, jeden Tag noch eine Umdrehung, eine Gemeinheit mehr. Die Protagonisten belauern sich wechselseitig, kommuniziert wird über Medien.

Spätestens seit dem Asylgipfel am Mittwochabend ist aus Gegrummel und permanenter Unzufriedenheit, die bisher hinter vorgehaltener Hand artikuliert wurde, eine offen ausgetragene Auseinandersetzung geworden. Es wurde sogar geschrien – am lautesten von Erwin Pröll. Aber das war nur die Begleitmusik. Eigentlich sind Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner miteinander fertig.

Die Frage ist nur: Auf welcher Seite gibt es zuerst Bewegung? In beiden Parteien werden Szenarien gewälzt, die eines gemeinsam haben: Sie gehen davon aus, dass die Faymann/Mitterlehner-Regierung nicht mehr lange Bestand haben wird. Nur: Wie lange hält sie noch? In der ÖVP wird darüber diskutiert: Should I stay or should I go? Sollte ÖVP-Obmann Mitterlehner die Schwäche der SPÖ und ihres Chefs Faymann ausnutzen und möglichst bald Neuwahlen vom Zaun brechen? Oder wäre es taktisch klüger, zu warten, bis die SPÖ ihren Vorsitzenden selbst abmontiert? Die ÖVP wähnt sich in der Rolle des Stärkeren, obwohl sich auch Mitterlehner von den Landeshauptleuten wie Pröll in der Asylwerber-Verteilungsfrage sagen lassen muss, wo es langgeht.

Faymann habe eigentlich gar nichts zu sagen – richten ihm seine Landeshauptleute Hans Niessl und Michael Häupl öffentlich aus. Dass der Kanzler seinen vernünftigen Vorschlag, eine Quote pro Bezirk einzuführen, nicht durchgebracht hat, muss er sich aber auch selbst zuschreiben: Er wollte über die Kronen Zeitung Entscheidungen erzwingen und ist damit gescheitert.

Nachfolger stehen bereit: Ex-ORF-Generaldirektor Gerhard Zeiler hat sich selbst ins Spiel gebracht. Kritik an ihm und seinem Vorgehen war in der SPÖ nicht zu hören. Seinen Vorstoß hat Zeiler mit aktiven und nicht mehr ganz so im Vordergrund stehenden Spitzengenossen abgesprochen. Und da ist noch Bahnchef Christian Kern, der gerne will, wenn man ihn bittet. Wen will Häupl? Und wann ist der beste Zeitpunkt für einen Wechsel? Rasch oder näher bei der Wienwahl am 11. Oktober? Über diese Szenarien wird in der SPÖ diskutiert.

In der Wiener SPÖ kursieren Rohdaten von Umfragen, die Genossen mitten im Sommer das Blut in den Adern gefrieren lassen. Diese lassen den Schluss zu, dass die FPÖ sogar vor der SPÖ liegen könnte. Noch schwört Häupl seine Partei darauf ein, jetzt keine Personaldebatte zu führen. Aber auch er kennt die Daten, die in seiner Partei weitergereicht werden: Fünf Prozentpunkte koste Faymann die SPÖ in Wien derzeit; auf drei Prozentpunkte wird das Plus taxiert, wenn Häupl den Obmanntausch durchsetzt.

Dass all diese Szenarien bei SPÖ und ÖVP gewälzt werden, zeigt vor allem eines: An einer lösungsorientierten Zusammenarbeit ist diese Koalition nicht mehr interessiert. Was auch immer in den nächsten Monaten passiert: Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass die FPÖ profitiert. (Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 27.6.2015)